Die Türkei, die sich weiterhin im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne befindet, setzt ihre wirtschaftliche Liberalisierungspolitik fort. Mit einem kräftigen Wirtschaftswachstum hat die Türkei 2010 die globale Wirtschaftskrise besser als von vielen Seiten erwartet überstanden. Damit befindet sich das Land erneut auf einem Wachstumskurs, der die bisherigen Wirtschafts­prognosen übertrifft. Mit dieser dynamischen Entwicklung wächst aber vor allem auch der Energiebedarf des Landes.

Von Olga Schneider, Relationship Manager Türkei, Strukturierte Außenhandelsfinanzierungen, BHF-BANK

Die Türkei liegt weltweit hinter China, Indien und Brasilien auf dem vierten Platz, gemessen am Wachstum des Energie­verbrauchs. Aufgrund der hohen Importquote von Erdöl und Erdgas besteht dadurch jedoch die Gefahr von massiv steigenden Strompreisen. Dieser Entwicklung versucht die Regierung entgegenzuwirken, indem sie voraussichtlich Anfang 2011 ein neues Gesetz verabschieden wird, das die regenerativen Energien verstärkt fördern sowie neue Investitionsanreize und Planungssicherheit bieten wird. Darüber hinaus ist vor allem vorgesehen, den bisherigen Mangel an Differenzierung bei der technologiespezifischen Einspeisevergütung zu beheben. Bislang gibt es eine für alle Arten von regenerativen Energiequellen einheitliche, oftmals zu niedrige Vergütung.

Mit einem robusten Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 4% p.a. in den letzten neun Jahren hat sich die türkische Wirtschaft gut entwickelt. Trotz eines Rückgangs der Wirtschaftsleistung um 4,7% im Jahr 2009 hat sie sich sehr schnell von der Weltwirtschaftskrise erholt. Ins­gesamt hat sich die Türkei im interna­tionalen Vergleich auf Rang 17 der weltgrößten Volkswirtschaften positioniert und wächst dabei schneller als alle anderen Volkswirtschaften Europas. Für das Gesamtjahr 2010 wird sogar ein besonders hohes Wirtschaftswachstum von 6,5% erwartet. Dieses robuste Wachstum ist besonders der soliden Kapitalstruktur der Banken, der Abneigung gegen komplizierte Finanzprodukte sowie der Antikrisenpolitik des Staates zu verdanken. Zudem wird die Wirtschaft von einer starken Binnennachfrage, basierend auf einer sehr jungen, konsumfreudigen Bevölkerung, getragen. Neben diesen Faktoren begünstigt das aktuell niedrige Zinsniveau hohe Investitionstätigkeiten, die diese Entwicklung zusätzlich nachhaltig unterstützen sollten. Dabei gelingt es der Zentralbank bisher, die Inflation auf einem verhältnismäßig niedrigen Niveau von 8,7% zu halten (in den 90er Jahren lag die Inflation bei 75%).

Die jährlich mit rund 7% steigende Stromnachfrage in der Türkei, die besonders von dem beschriebenen Wirtschaftswachstum getrieben ist, erfordert bis 2020 Investitionen im Energiesektor von über 100 Mrd US$. Dabei ist der türkische Strommarkt mit rund 70% auf importierte Energieträger angewiesen, was das Land zum Ausbau eigener Produktionskapazitäten zwingt.

Die türkische Stromproduktion basiert noch immer zur Hälfte auf importiertem Erdgas sowie zu einem Drittel auf teilweise importierter Steinkohle und größtenteils im Land vorhandener Braunkohle. Die verbleibenden 20% machen erneuerbare Energiequellen aus. Hier handelt es sich jedoch fast ausschließlich um Wasserkraft. Bisher spielt die Nutzung von Wind-, Solar- und geothermischer Energie noch eine untergeordnete Rolle. Infolgedessen hat sich die Regierung das klare Ziel gesetzt, die Abhängigkeit von Importen fossiler Energieträger zu mindern und somit Lieferschwankungen sowie die wirtschaftliche und politische Willkür der Exportländer zu reduzieren.

Diese Importabhängigkeit kann zum Beispiel durch Windenergie behoben werden, da in diesem Bereich das größte Wachstumspotential gesehen wird. Eine Küstenlänge von über 7.000 km und sehr gute Windbedingungen bieten dafür beste Voraussetzungen. Die Regierung plant deshalb, die derzeit vorhandene Kapazität von rund 800 MW bis 2014 massiv auf 10.000 MW auszubauen.

Neben Windenergie besitzt die Türkei ­aufgrund der geographischen Lage ein hohes Potential für die Nutzung von ­Sonnenenergie an den Küsten der Ägäis und des Mittelmeeres sowie im Süd-
osten des Landes. Zurzeit ist die Sonnenenergie, ebenso wie die geothermische Energie, in der Türkei aufgrund der zu niedrigen Einspeisevergütung jedoch nicht rentabel.

Außer in der Stromerzeugung besteht weiterer Investitionsbedarf im Bereich des Stromnetzes, da dieses sich nach Jahren des staatlichen Besitzes in einem maroden Zustand befindet. Das Stromverteilungsnetz, das sich in 21 regionale Gebiete aufteilt, soll aus diesem Grund bis Ende 2010 vollständig privatisiert und modernisiert werden.

Die bestehende Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und das zu niedrige Preisniveau der Einspeisevergütung für erneuerbare Energien zwingt die türkische Regierung nun zum Handeln. Auch deshalb schreitet sie mit der Privatisierung und Liberalisierung von Stromer­zeugung und Verteilungsnetzen weiter voran. Von einem Investitionsförderprogramm profitieren neben einheimischen Gesellschaften auch Energieunternehmen mit ausländischer Kapitalbeteiligung durch Umsatzsteuerbefreiungen, Sonderabschreibungen oder zinsgünstige Dar­lehen.

Bereits vor fünf Jahren hat die Regierung mit der Verabschiedung eines Gesetzes für erneuerbare Energien einen wichti-gen Impuls gesetzt, welcher sich aber in Bezug auf einige Energiequellen als unwirtschaftlich erwiesen hat. Insbesondere im Solarsektor ist keine nennenswerte Investitionsaktivität festzustellen, da sich im ­Rahmen dieses Gesetzes lediglich Windkraftanlagen und Wasserkraftwerke (pauschale Einspeisevergütung von 5,5 Euro-Cent/kWh) wirtschaftlich betreiben lassen.

Um die spezifischen Voraussetzungen für die Nutzung der einzelnen erneuer­baren Energiequellen zu verbessern, will die Regierung in den nächsten Monaten ein neues Gesetz ­verabschieden. Im Zuge dessen soll die Einspeisevergütung für
die Solarthermie auf ca. 20 bis 25 Euro-Cent/kWh festgelegt werden. Auch die Vergütung für Windenergie, geother­mische Energie und Biomasse soll differenziert behandelt und angehoben werden.

Um die Planungssicherheit von Investoren und Betreibern zu gewährleisten, sind garantierte Abnahmepreise für einen Zeitraum zwischen zehn und 20 Jahren vorgesehen. Vor allem Photovoltaik und Solarthermie profitieren von langen Laufzeiten bis zu 20 Jahren. Durch diese Maßnahmen dürften Investitionen im Bereich der erneuerbaren Energien stimuliert werden und sich Absatzchancen für deutsche Lieferanten ergeben.

Deutschland ist seit vielen Jahren der wichtigste Handelspartner der Türkei. Allein im ersten Halbjahr 2010 beliefen sich die Lieferungen in das Land auf rund 7 Mrd Euro, ein Anstieg von 39% gegenüber dem Vorjahr. Den Großteil der deutschen Warenausfuhren stellen Maschinen, Anlagen und Kraftfahrzeuge dar. Nicht zu vernachlässigen sind jedoch bereits heute die deutschen Aktivitäten im Bereich der Windenergie, die von der stetig steigenden Nachfrage in der Türkei profitieren.
Für deutsche Exporte bietet der Bund ein Sicherungsinstrument in Form der Hermesdeckung an, durch das die Exportaktivitäten gegen einen Zahlungsausfall aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen abgesichert werden. Das Spektrum umfasst unter anderem Lieferantenkreditdeckung, Fabrikations- und Ausfuhrdeckung sowie Finanzkreditdeckung.

Langfristige Finanzierungen in Form von Bestellerkrediten zur Finanzierung von Investitionsgütern im Bereich der erneuerbaren Energien unterliegen günstigeren Bedingungen. So wurde die Kreditlaufzeit auf bis zu 18 Jahre erhöht und die tilgungsfreie Zeit von sechs auf maximal 18 Monate nach Fertigstellung erweitert.

Insgesamt kann festgehalten werden, dass für deutsche Unternehmen nach wie vor ein großes Potential besteht, von der aufstrebenden Volkswirtschaft zu profitieren. Dies wird durch zahlreiche Sicherungsinstrumente seitens des deutschen Staates, die sowohl den deutschen als auch den türkischen Unternehmer unterstützen, gefördert.

Die BHF-BANK unterstützt seit Jahrzehnten die deutsche Wirtschaft in der Türkei bei Absicherungsmöglichkeiten im kurz- und mittelfristigen Bereich in Form von Akkreditivbestätigungen und Forfaitierungen sowie im langfristigen Bereich durch Hermes-gedeckte Bestellerkredite.

Kontakt: olga.schneider[at]bhf-bank.com

18 replies on “Großes Potential im türkischen Energiesektor”

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