Das Wirtschaftswachstum schwächt sich ab, und die Inflation erhält zunehmend Auftrieb. Hinzu kommt, dass der Leistungsbilanzüberschuss schwindet, was zu einem Rückgang der Devisenreserven führt. Dieser Trend wird durch die Kapitalflucht privater Ver­mögensbesitzer verstärkt. Da der argentinische Staat keinen Zugang zu internationalen Kapitalmärkten hat, führte die ­Regierung Handels- und Kapitalverkehrbeschränkungen ein. Nun wurde der führende Ölproduzent verstaatlicht.

Von Christoph Witte, Direktor Deutschland, Delcredere N.V.

Staatspräsidentin Cristina Fernández ist im Oktober 2011 mit einem überwältigenden Sieg wiedergewählt worden. Historisch hohe Preise für Agrarexportgüter, eine prozyklische Fiskal- und Geldpolitik sowie die schwache Opposition waren die Hauptgründe für den Wahlerfolg. Ihre Partei, die „Front für den Sieg“ (Frente para la Victória – FV), erhielt erneut zusammen mit den verbündeten Parteien eine Mehrheit in beiden Kammern, womit die Regierung die Kontrolle über die Gesetzgebung für die nächsten zwei Jahren behält (2013 werden Zwischenwahlen für das Parlament abgehalten).

Nach ihrer Wiederwahl setzte Cristina Fernández umgehend strengere Handels- und Kapitalverkehrskontrollen um, mit dem Ziel, den Schwund der Währungsreserven aufzuhalten. Diese ersten Maßnahmen zeigen, dass Fernández sich weiter auf eine unorthodoxe Wirtschaftspolitik stützt, um das Wachstum zu stimulieren und makroökonomische Ungleichgewichte aufzuhalten, statt einem flexibleren wirtschaftspolitischen Ansatz zu folgen. Es ist zu erwarten, dass die Staatspräsidentin im Verlauf ihrer 4-jährigen Regierungszeit zunehmend auf staatliche Eingriffe setzen wird, um jedes Anzeichen eines makroökonomischen Ungleichgewichts wie eine hohe Inflation oder ein Leistungsbilanzdefizit zu unterbinden.

Darüber hinaus führt sie die Wirtschaftspolitik ihres verstorbenen Ehemanns, des ehemaligen Präsidenten Nestor Kirchner, fort. Diese zielt darauf ab, das Wirtschaftswachstum durch eine Politik der sukzessiven nominalen Abwertung des Peso und eine expansive Geldpolitik zu stimulieren. Der „Kirchnerismus“ beinhaltet auch Neuverhandlungen über die Umschuldung noch ausstehender Verbindlichkeiten, soziale Programme und eine nationalistische Rhetorik.

Die Geschichte der argentinischen Wirtschaft ist durch heftige Konjunkturschwankungen mit ausgeprägten Boom- und Krisenjahren gekennzeichnet. Markante Krisenjahre waren 1989/90 (Hyperinflation), das Ende des Currency-Boards, das 1991 eingeführt wurde, sowie der damit verbundene Zahlungsausfall des Staates im Jahr 2002. Die Wirtschaft erholte sich drastisch nach der Rezession 1999/2002, und das BIP-Wachstum erreichte Zuwachsraten in ähnlicher Größenordnung wie in China. Dennoch war Argentinien anfällig für die Weltwirtschaftskrise und rutschte 2009 in eine kurze Rezession.

Das Land erholte sich wieder spürbar im Jahr 2010 (mit einem BIP-Wachstum von 9,2%), was auf die robuste Inlandsnachfrage und günstige Weltmarktbedingungen (hohe Rohstoffpreise, solide Nachfrage aus Brasilien) zurückzuführen war. Argentinien verbuchte auch im Jahr 2011 ein kräftiges Wachstum (6,5%). Dieses wird sich voraussichtlich im laufenden Jahr aufgrund einer Dürre, die dem Agrarsektor zu schaffen macht, der weniger günstigen externen Faktoren sowie der sinkenden fiskalischen Anreize auf 3,5% abschwächen.

Gemäß offiziellen Angaben hat sich das BIP-Wachstum in einem Umfeld geringer Inflation kräftig erholt. Aber seit 2008 wird die Glaubwürdigkeit der offiziellen Inflationsdaten in Frage gestellt, zumal diese von einem Anstieg der Inflation von 5% auf derzeit 11% berichten. Unabhängige Analysten schätzen, dass die aktuelle Inflationsrate mehr als doppelt so hoch ist wie die offiziell ausgewiesene.

Zwei IWF-Missionen haben das Land 2011 besucht, um eine Reihe von Reformen vorzuschlagen. Doch bislang hat die Regierung darauf nicht reagiert. 2012 dürfte die Inflationsrate weiterhin auf hohem Niveau verharren, zumal die expansive Geldpolitik fortgeführt wird. In der Tat setzt die argentinische Zentralbank, die nicht unabhängig von der Regierung ist, auf Wachstum, ohne auf die negativen Folgen der Inflation zu achten. Zudem dürften der Abbau von Subventionen im Versorgungssektor, protektionistische Maßnahmen und Lohnerhöhungen dem Preisauftrieb weitere Nahrung geben.

Im vergangenen Jahrzehnt war die gute Performance der argentinischen Wirtschaft eher auf die reiche Ausstattung mit natürlichen Ressourcen (Erze, Erdöl, landwirtschaftliche Ressourcen) als auf eine gesunde und nachhaltige Wirtschaftspolitik zurückzuführen. In dieser Zeit wurde das Wachstum vor allem durch boomende Exporte und eine kräftige Inlandsnachfrage getragen, die wiederum durch die expansive Haushalts- und Geldpolitik (Preissubventionen in der Versorgungswirtschaft, steigende öffentliche Ausgaben und leichter Zugang zu Krediten) stimuliert wurde. Doch die expansive Fiskalpolitik kann nicht endlos fortgesetzt werden, zumal sie auch finanziert werden muss. Da der Zugang zum internationalen Kapitalmarkt versperrt ist, muss die Regierung ihre steigenden Ausgaben über Steuererhöhungen im Exportsektor, über den Zugriff auf die Devisenreserven sowie über andere Quellen (z.B. Verstaatlichung der Pensionskassen) finanzieren.

Die wirtschaftliche Stabilität Argentiniens ist somit in hohem Ausmaß abhängig von den externen Marktbedingungen. Ein drastischer Einbruch der Auslandsnachfrage oder der Agrar- und Rohstoffpreise wird die Ressourcen, die der Regierung zur Verfügung stehen, stark reduzieren, und diese wird dann nicht mehr fähig sein, ihre expansive Wirtschaftspolitik zu finanzieren.

Die Regierung hat verschiedene protektionistische Maßnahmen vorgenommen, um den Importzuwachs zu bremsen und den Überschuss in der Leistungsbilanz wiederherzustellen. Die Maßnahmen, die den Import erschweren, umfassen u.a. ein neues, nichtautomatisches Genehmigungsverfahren für eine steigende Anzahl von Importgütern, die Einführung neuer Abläufe und Einfuhrzölle sowie die Auflage für bestimmte Unternehmen, die getätigten Importe durch Exporte im gleichen Wert auszugleichen – Letzteres ist eine absurde Regelung, die z.B. dazu führt, dass Autohersteller Wein exportieren. Staatschefin Fernández hat zudem geäußert, dass zusätzliche Handels- und Kapitalverkehrsbeschränkungen erlassen werden können, sollte dies notwendig sein.

Handelskontrollen werden jedoch langfristig kaum zu einer überschüssigen Leistungsbilanz führen. Die argentinische Exportstruktur wird von Rohstoffen und Agrarprodukten dominiert, und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der lokalen verarbeitenden Industrie leidet unter einem Mangel an Investitionen und der realen Aufwertung des Peso. Seit 2003 wertet Argentinien schrittweise den nominalen Außenwert des Peso ab, um die Wettbewerbsfähigkeit der lokalen Hersteller zu erhalten. Aber da sich die Inflation in Argentinien stärker beschleunigt als bei den wichtigsten Handelspartnern, reicht die nominale Abwertung nicht aus, um die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu erhalten.

Der Energie- und der Bergbausektor geraten zunehmend unter Druck. Wie bereits erwähnt, hat die Regierung zusätzliche Kapitalverkehrskontrollmaßnahmen vorgenommen, die u.a. von Öl- und Bergbaugesellschaften verlangen, dass sie ihre Exporterlöse in Argentinien belassen. Zusätzlich verlangt die argentinische Regierung, dass die Ölunternehmen stärker investieren, zumal der Ölverbrauch stark gestiegen ist, während die Ölproduktion sinkt. Die Ölunternehmen haben nicht genug investiert, weil das Geschäftsumfeld ungünstig ist und die Energiepreise seit einem Jahrzehnt eingefroren sind.

Anfang Mai 2012 wurde das argentinische Erdölunternehmen YPF, Tochter der spanischen Repsol, teilweise verstaatlicht. Nun soll YPF gemeinsam mit privaten Unternehmen neue Lagerstätten erschließen. Weitere staatliche Eingriffe sind absehbar.

Kontakt: c.witte[at]delcredere.eu

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