Vietnam zählt zu den wachstumsstärksten Staaten der Welt. Vor rund 25 Jahren öffnete sich das sozialistische Land für ausländische Investoren und intensiviert seitdem kontinuierlich seine außenwirtschaftlichen Beziehungen. Nun soll der nächste Entwicklungsschritt gelingen und mit umfangreichen Investitionen in die Infrastruktur und die Bildung die Basis für den Aufbau einer technologisch hochqualifizierten Industrie geschaffen werden.

Von Phung-Phuong Lan, Leiterin Repräsentanz in Ho-Chi-Minh-Stadt, BHF-BANK

Die Verbindungen Vietnams zu Deutschland sind enger als zu jedem anderen europäischen Land, denn bis 1989 haben rund 100.000 Vietnamesen in der ehemaligen DDR eine Ausbildung absolviert, studiert oder gearbeitet. Zu ihnen zählen unter anderen auch der Minister für Industrie und Handel sowie der stellvertretende Premierminister Vietnams, der an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg promoviert hat. Für Geschäftsbeziehungen besteht somit schon auf zwischenmenschlicher Ebene eine gute Basis. Zudem ist Deutschland der wichtigste Handelspartner Vietnams in Europa.

Das ursprünglich landwirtschaftlich geprägte Vietnam hat bis 2010 einen vor allem von der Industrie getragenen Wirtschaftsboom erlebt. Seit zwei Dekaden ist die jährliche Wachstumsrate nicht mehr unter 5% gefallen. Die Durchschnittseinkommen sind stark gestiegen. Wegen seines raschen Aufstiegs hat die Investmentbank Goldman Sachs Vietnam in den Kreis der „Next Eleven“, eine Auswahl besonders vielversprechender wachstumsstarker Schwellenländer, aufgenommen.

Seit den 90er Jahren sind umfangreiche ausländische Investitionen nach Vietnam geflossen, das sich von einer Planwirtschaft hin zu einer sozialistischen Marktwirtschaft entwickelt hat. Der Beitritt zur WTO im Jahr 2007 bedeutete noch einmal einen zusätzlichen Schub für die Integration Vietnams in die Weltwirtschaft. US-amerikanische Firmen sind seitdem die führenden Investoren im Land.

Die Exporte Vietnams sind in den vergangenen 20 Jahren im Durchschnitt um 15% pro Jahr gewachsen, nicht zuletzt, weil ausländische Unternehmen das Land als Produktionsstandort nutzen. Sie schätzen den großen Binnenmarkt mit seinen gut 90 Millionen Menschen, die stabilen Rahmenbedingungen und die ausgesprochen niedrigen Lohnkosten, die Vietnam zu bieten hat. Rund 220 deutsche Unternehmen produzieren in Vietnam. Unter ihnen sind Bekleidungshersteller wie Adidas, Puma, Seidensticker, Triumph und Van Laack, aber auch Investitionsgüterhersteller wie Siemens, Heidelberger Druck und B. Braun Melsungen.

Vietnams wichtigste Exportprodukte sind Rohöl, Textilien, Schuhe, Elektrogeräte und landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Holz, Fisch, Reis, Kaffee und Pfeffer. Vietnam ist inzwischen der weltweit zweitgrößte Exporteur von Reis und Kaffee. Knapp vor der EU sind die USA der wichtigste Absatzmarkt für Güter aus Vietnam, auf dem dritten Platz folgt Japan. Die Importe kommen vor allem vom großen Nachbarn China sowie aus Japan, Südkorea, Singapur und Taiwan. Die wichtigsten Importgüter sind Maschinen und Anlagen, Mineralölerzeugnisse, Düngemittel, Fahrzeuge, Stahl, Stoffe sowie Computer und IT-Anlagen.

Auch wenn Vietnams Wirtschaftsstruktur nicht von der Rohstoffgewinnung geprägt ist, ist das Land doch reich an Bodenschätzen. Vor der Küste werden noch umfangreiche Öl- und Gasvorkommen vermutet, zudem sind große Vorkommen an Kohle, Erzen und seltenen Erden vorhanden. Mit ausländischer Unterstützung sollen die Bodenschätze in Zukunft effizienter gefördert werden, als dies bisher der Fall gewesen ist.

Gut 40% der vietnamesischen Wirtschaftsleistung werden heute von der Industrie erbracht, ein Fünftel noch immer in der Landwirtschaft, die deutlich mehr als die Hälfte aller Erwerbstätigen beschäftigt.

Das schnelle Wirtschaftswachstum hat verschiedene Probleme mit sich gebracht. Eine lockere Geldpolitik und die mit ihr verbundene großzügige Kreditvergabe, deren Ziel es war, die Wirtschaft vor den Auswirkungen der Finanzkrise in der westlichen Welt zu schützen, führten 2011 zu einer konjunkturellen Überhitzung und zu einer Inflationsrate von über 20%. Außerdem leidet der Bankensektor Vietnams nunmehr an einem erhöhten Anteil notleidender Kredite, der vermutlich zu einer Konsolidierung vor allem auf Kosten der Existenz kleinerer Banken führen wird.

Mit einer restriktiven Geldpolitik und anderen Maßnahmen konnte die Regierung den Anstieg der Verbraucherpreise 2012 aber bereits auf rund 7% bremsen. Auch die zwischenzeitlich sehr hohen Kreditzinsen sind wieder zurückgegangen. Das Wirtschaftswachstum betrug 2012 allerdings nur noch 5%. Auch wegen der schwachen Weltkonjunktur haben sich die ausländischen Direktinvestitionen verringert und das Exportwachstum von über 30% pro Jahr auf knapp 20% pro Jahr verlangsamt.

Die Regierung strebt eine Modernisierung der Staatsbetriebe an, die insbesondere in den Bereichen Energie, Telekommunikation und Transport noch eine marktbeherrschende Stellung haben und einen großen Teil des BIP erwirtschaften.

Vietnam unternimmt große Anstrengungen, das Investitionsklima weiter zu verbessern. Verwaltungs- und Genehmigungsprozesse sollen vereinfacht und gezielt Investoren im Bereich der Hochtechnologie gewonnen werden. Die Regierung verfolgt das Ziel, Vietnam bis 2020 zu einer modernen, industrialisierten Volkswirtschaft zu entwickeln. Es soll sich vom Billiglohnland zum Standort für eine anspruchsvollere Fertigung wandeln.

Um dies zu ermöglichen, sind umfangreiche Investitionen in die Infrastruktur geplant. So ist der Ausbau verschiedener Seehäfen sowie des Eisenbahn- und des Straßennetzes vorgesehen, wovon auch deutsche Firmen bereits profitieren: Siemens baut im Ballungsraum von Ho-Chi-Minh-Stadt derzeit die U-Bahn aus. Auch am Ausbau und der Modernisierung der Energieversorgung sind deutsche Adressen beteiligt. Das rheinland-pfälzische Unternehmen Fuhrländer hat den ersten Windpark in Vietnam errichtet, und der Mannheimer Engineering- und Servicekonzern Bilfinger erstellt eine Studie über den Zustand der Kraftwerke im Land.

Auch dem Bildungswesen gilt besondere Aufmerksamkeit. Zwar ist die Analphabetenrate in Vietnam nur noch gering, doch es fehlt einem großen Teil der Berufstätigen an einer beruflichen Qualifikation jenseits der schulischen Ausbildung. Das deutsche System der Berufsausbildung gilt in Vietnam als vorbildlich und soll teilweise übernommen werden. Weil ein großer Teil der Bevölkerung in Vietnam sehr jung – rund ein Drittel ist jünger als 15 Jahre – und lernwillig ist, soll Vietnam bald über ein großes Potential qualifizierter Arbeitskräfte verfügen.

Wenn die derzeit bestehenden Probleme bewältigt werden, stehen für Vietnam wieder hohe Wachstumsraten in Aussicht. Vor allem Maschinen- und Anlagenbauern aus Deutschland sollten sich im Zuge dieser Entwicklung gute Chancen für Geschäftsabschlüsse bieten. Aber auch Stahl, Aluminium, chemische Erzeugnisse und Farbstoffe sowie IT und Management-Know-how sind gefragt. Sowohl staatliche als auch private Firmen treten als Kunden auf.

„Made in Germany“ erfreut sich in Vietnam sehr großer Wertschätzung und Beliebtheit. Die Autos deutscher Marken sind Statussymbole. Mit den Einkommen steigen die Konsummöglichkeiten, und das Land wird auch für die Produzenten hochwertiger Konsumgüter ein interessanter Markt.

Nach den 20-jährigen Erfahrungen der BHF-BANK vor Ort ist Vietnam ein vielversprechender, aber kein einfacher Markt. Viele Regeln und Gebräuche weichen von europäischen Gegebenheiten ab. So dürfen nach wie vor weder Privatpersonen noch Unternehmen Grund erwerben. Geschäfte müssen in Vietnam oft wie ein Kunstwerk individuell gestaltet werden, um allen Anforderungen gerecht zu werden. Derzeit sind zudem bei Finanzierungen höhere Absicherungskosten als sonst gewohnt einzukalkulieren.

Für den Erfolg ist es wichtig, einen verlässlichen lokalen Partner zu haben, der die Gepflogenheiten kennt und der helfen kann, vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen. Ist eine solche Vertrauensbasis geschaffen, so entsteht darauf aufbauend in der Regel eine sehr gute, langanhaltende Zusammenarbeit, die durch viele Gemeinsamkeiten in Mentalität und Wertvorstellungen von Deutschen und Vietnamesen erleichtert wird. Hier können beide Partner profitieren.

Kontakt: lanphungphuong[at]bhf-bank.com

17 replies on “Vietnam will die Entwicklung seiner Industrie forcieren”

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