Hugo Chávez beherrscht die politische Bühne in Venezuela, aber seine Wiederwahl zum Staatspräsidenten im Oktober 2012 ist ­keineswegs sicher. Die Wirtschaft ist abhängig von Erdöleinnahmen. Die Wachstumsaussichten werden von hoher Inflation sowie Strom- und Rohstoffknappheit getrübt. Kapitalflucht belastet die Währungsreserven, obwohl die Leistungsbilanz einen Überschuss aufweist. Das Länderrisiko wird immer noch durch eine moderate Auslandsverschuldung und hohe Erdölreserven abgefedert.

Von Christoph Witte, Direktor Deutschland, Delcredere N.V.

Nach seiner Wahl 2000 konzentrierte Hugo Chávez die Macht durch Verfassungsänderungen, Kontrolle über Armee und Justiz sowie Eingriffe in die Wirtschaft in seinen Händen.

Chávez hat bereits seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen am 7. Oktober 2012 angekündigt. Im Unterschied zu früheren Wahlen gilt seine Wiederwahl jedoch keineswegs als gesichert. Die zersplitterte Opposition hält derzeit stärker zusammen als in der Vergangenheit und wird sich voraussichtlich auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen können. Bei den 2010 abgehaltenen Parlamentswahlen erzielte sie bereits gute Ergebnisse, was Chávez vor ernste Herausforderungen stellt. Die Bevölkerung ist unzufrieden mit der schlechten Sicherheitslage im Land und leidet unter hoher Inflation sowie Energie- und Nahrungsmittelknappheit. Zudem ist Präsident Chávez an Krebs erkrankt. Das wirft die Frage auf, ob Chávez überhaupt gesundheitlich in der Lage sein wird, einen Wahlkampf zu führen. Aus den Reihen seiner eigenen Partei (Partido Socialista Unido de Venezuela, PSUV) ist ein Stellvertreter für Chávez nicht in Sicht.

Trotz antiamerikanischer Grundeinstellung verfolgten sowohl die USA als auch Venezuela hinsichtlich der bilateralen Handelsbeziehungen einen pragmatischen Ansatz, insbesondere bei Erdöllieferungen Venezuelas in die USA. Um die US-Vorherrschaft abzuschwächen und eine multipolare Welt zu unterstützen, hat Chávez seine Beziehungen zu geopolitischen Sorgenländern wie Libyen, Syrien und Iran intensiviert. Im Mai 2011 haben die USA daher symbolische Sanktionen gegen die staatliche Ölgesellschaft PDVSA erhoben, die verbotene Produkte nach Iran geliefert hatte. Die Sanktionen dienen als Warnung für Venezuela, enge Beziehungen mit Teheran einzugehen. Verschärft sich diese Lage, könnte das die Ölexporte des Landes einschränken und negative Folgen auf die Wirtschaft haben. Die Erdöleinnahmen sind Venezuelas wichtigste Devisenquelle.

Nach der 2009 beginnenden Rezession fiel, im Unterschied zu anderen Ländern Lateinamerikas, das Wachstum in Venezuela auch 2010 negativ aus, da die Produktion von Wechselkurs- und Preiskontrollen, Stromausfällen, Rohstoffmangel sowie willkürlichen Staatseingriffen gelähmt wurde. Die Rezession wurde Anfang 2011 insbesondere mit Hilfe der Ölpreissteigerungen überwunden. Dennoch verzeichnete Venezuela im Jahr 2010 mit über 25% eine der höchsten Inflationsraten Lateinamerikas. Um diese einzudämmen, verstärkte Präsident Chávez im Juli 2011 die Preiskontrollen. Er verabschiedete ein Gesetz über Kosten und Preise, das der Regierung erlaubt, einen „fairen“ Preis für Güter und Dienstleistungen des Grundbedarfs festzusetzen. Werden diese Preise von den Wirtschaftsakteuren nicht eingehalten, kann die Regierung Geldbußen und Sanktionen verhängen und sogar Unternehmen verstaatlichen. Diese Maßnahme zeigt das Krisenmanagement der venezolanische Regierung: Eingriff in die Wirtschaft mit Ad-hoc-Maßnahmen. Weitere Maßnahmen sind im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2012 zur Popularitätssteigerung von Präsident Chávez zu erwarten.

Die Abhängigkeit der venezolanischen Deviseneinnahmen vom Erdölexport ist hoch. Der Anteil der Erdölerlöse an den gesamten Erlösen der Leistungsbilanz hat sich zwischen 1999 und 2010 weiter von 68,7% auf 85,3% erhöht. Die Leistungsfähigkeit des Nichterdölsektors ist dagegen, aufgrund der Überbewertung des Bolivar und des wenig wettbewerbsfähigen Industriesektors, der nur für einen Gesamterlösanteil von 2,5% sorgt, schwach. Trotz dessen und trotz der wachsenden Importabhängigkeit von Nahrungsmitteln und anderen Gütern des Grundbedarfs blieb ein Überschuss in der Leistungsbilanz bislang erhalten. Aufgrund der Devisenbewirtschaftung, die 2003 in Venezuela eingeführt wurde, wachsen Importe langsamer als Exporte. Damals schuf die Regierung eine Behörde (Comisión de Administración de Divisas – CADIVI), die Devisengeschäfte zu Vorzugswechselkursen (für bestimmte Importe) genehmigt.

2005 wurde der Bolivar (VEB) zum Wechselkurs von 2,15 je USD festgesetzt. Dieser feste Vorzugswechselkurs konnte beim Devisenkauf nur über die CADIVI erzielt werden. Gleichzeitig entstand ein unregulierter Parallelmarkt (Schwarzmarkt), an dem Devisen zu höheren Wechselkursen gehandelt wurden. 2010 wertete Chávez den Bolivar auf einen Wechselkurs von 2,6 VEB je USD für „priorisierte“ Importe wie Nahrungsmittel und Medikamente ab und auf einen weiteren Kurs von 4,3 VEB je USD für nicht lebensnotwendige Importgüter. Zusätzlich verbot die Regierung den Devisenparallelmarkt und schuf ein neues System: Das SITME (Sistema de Transacciones con Títulos en Moneda Extranjera) wird durch die Zentralbank kontrolliert und versorgt die Wirtschaft mit Devisen unter sehr strengen Konditionen und einem floatenden Wechselkurs (5,3 VEB je USD im September 2011). Ende Dezember 2010 wertete die Regierung den Bolivar weiter ab und hob das gespaltene Wechselkurssystem auf. Devisengeschäfte müssen nun für alle Güter über CADIVI abgewickelt werden, und es gilt ein einheitlicher Wechselkurs in Höhe von 4,3 VEB je USD.

In einem Umfeld sich reduzierender Devisenreserven sind weitere Abwertungen des Bolivar und zum Schutz der Währungsreserven eine Verschärfung der Devisenkontrollen zu erwarten. Der Abbau der Devisenreserven spiegelt angesichts des vorhandenen Leistungsbilanzüberschusses die anhaltende Kapitalflucht wider.

Seit 2008 hat die Regierung chinesische Kredite erhalten und sich im Gegenzug zu Erdöllieferungen verpflichtet. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen dienen diese Kredite zur Finanzierung strategischer Projekte, wie Wohnungsbau und Ausbau der Stromversorgung. Langfristig wird dieses Abkommen die Ölexporteinnahmen gefährden, die eine wichtige Devisen- und Finanzierungsquelle für soziale Projekte darstellen. Zudem wächst die Auslandsverschuldung, auch wenn sie sich derzeit auf einem moderaten Niveau bewegt.

Im August 2011 kündigte Hugo Chávez die Rückführung von Goldbeständen von 365 Tonnen nach Venezuela an, die in westlichen Banken deponiert sind, sowie die Verstaatlichung der nationalen Goldmine. Hierfür gibt es verschiedene Erklärungen. Das Gold kann zur Besicherung neuer chinesischer Kredite dienen, für eine Kampagne von Hugo Chávez gegen den Westen und die USA herangezogen werden oder das Land vor möglichen Einfrierungen von Überseeguthaben in Verbindung mit hohen Prozesskosten (Schätzungen gehen von über 40 Mrd USD aus) schützen. Um seinen Sozialismus des 21. Jahrhunderts wahrzumachen hat Chávez die staatlichen Eingriffe in die Wirtschaft durch Untergrabung privater Eigentumsrechte und Verstaatlichungen verstärkt.

Aufgrund der hohen und sich verschärfenden politischen Unsicherheit hat
Delcredere jüngst die Bewertung des mittel- bis langfristigen politischen Risikos heruntergestuft. Bewegen sich die Devisenreserven Venezuelas weiter auf dem derzeitigen Abwärtstrend, könnte das kurzfristige politische Risiko, sprich die Zahlungsfähigkeit des Landes, ceteris paribus ebenfalls nach unten korrigiert werden. Wegen des schwierigen Geschäftsumfelds stuft Delcredere das Geschäftsrisiko in Venezuela in die höchste Risikostufe ein.

Kontakt: c.witte[at]delcredere.eu

18 replies on “Venezuelas Ölreichtum bringt auch Nachteile”

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