Politische Stabilität, Diversifizierungsfortschritte und ein hohes Auslandsvermögen bilden die Stärken der Vereinigten Arabischen ­Emirate (VAE), die weiterhin wie ein Magnet Investoren und Touristen anziehen. Doch der jüngste Ölpreisverfall trifft die Wirtschaft ­spürbar: Das Wachstum verliert an Dynamik, der Staatshaushalt und die Leistungsbilanz drohen in die Defizitzone abzurutschen. Die kurzfristige Risikoeinschätzung bleibt wegen der finanziellen Polster dennoch unverändert (Kategorie 2 auf einer Skala von 1 bis 7).

Von Christoph Witte, Direktor Deutschland, Credimundi, Memeber of the Credendo Group

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In den vergangenen Jahren waren die Vereinigten Arabischen Emirate ein sicherer Hafen in einer von politischen Unruhen überschatteten Region. Während die Turbulenzen seit Anfang 2011 die Region Naher Osten/Nordafrika erfassten, blieb die politische Lage in den VAE weitgehend stabil. Dies führte zu einem steigenden Interesse an dem Land. Kapital strömte dorthin. Der Tourismus, der Immobiliensektor und das Gastgewerbe erlebten einen Aufschwung. So verzeichnete der Nichtölsektor 2013 und 2014 ein Wachstum von etwa 5,5%, womit die Dubai-Krise, die das Land noch 2009/2010 heimsuchte und das BIP Dubais um 5% einbrechen ließ, überwunden scheint.

Die VAE sind von einem freiheitlichen politischen System weit entfernt, doch eine wirkliche Opposition kommt auch nicht zustande: Die Herrscherfamilien sind populär und lassen die Bevölkerung am Ölreichtum teilhaben. Die starke Position der Emire wird zusätzlich durch die demographischen Verhältnisse untermauert, denn nur 10% bis 20% der Gesamtbevölkerung sind Bürger der VAE.

Abu Dhabi mit Führungsrolle

Unter den sieben Emiraten (Abu Dhabi, Dubai, Scharjah, Ajman, Umm al-Quwain, Fudjairah und Ras al-Khaimah) verfügt Abu Dhabi über die größte politische Macht, was auf die besonders gute finanzielle Ausstattung dieses Emirats aufgrund seiner hohen Öl- und Gasvor­kommen zurückzuführen ist. Abu Dhabi verfügt über den Löwenanteil der nachgewiesenen Ölreserven der VAE, seine Einnahmen machen fast zwei Drittel der konsolidierten Regierungseinnahmen aus. Abu Dhabi unterstützte Dubai wirtschaftlich in den Jahren 2009/2010 und nutzt nun die Gelegenheit, seine politische Kontrolle über Dubai durch eine zunehmende Zentralisierung der Verwaltungsstrukturen zu erhöhen.

Diversifizierungsbemühungen

Die Wertschöpfung findet vor allem in den Emiraten Abu Dhabi (hier befinden sich etwa 94% der nachgewiesenen Ölreserven) und Dubai statt. Die Öl- und Gaserlöse sind die bedeutendste Einnahmenquelle (64% der Leistungsbilanzerlöse und 79% der Staatseinnahmen). Die nachgewiesenen Öl- und Gasreserven der VAE sind die siebtgrößten weltweit. Dubais Wirtschaft ist am stärksten diversifiziert. Doch die gesamte Föderation versucht nachzuziehen und hat sich inzwischen zu einem bedeutenden regionalen Dienstleistungszentrum entwickelt, mit Schwerpunkten in den Bereichen Transport, Logistik, Finanzen und Tourismus. Aufgrund dieser anhaltenden Diversifizierungsbemühungen (dazu gehört auch die erfolgreiche Bewerbung der VAE um die Weltausstellung Expo 2020) ist die Abhängigkeit vom Öl- und Gassektor geringer als in anderen ölexportierenden Ländern der MENA-Region.

Dennoch ist die Abhängigkeit von den Öl- und Gaseinnahmen (insbesondere für den Staat) nach wie vor hoch. Eine Diversifizierung der Einnahmenquellen ist wichtig, um die Abhängigkeit von den schwankenden internationalen Ölpreisen zu verringern. Der jüngste Einbruch der Ölpreise hat erneut gezeigt, wie volatil die Entwicklung an den Weltenergiemärkten sein kann. Obwohl sich die Sicherheitslage in Libyen und im Irak verschlechtert hat und der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine den Ölmarkt belastet, sind die Rohölpreise (Brent) nach einer langjährigen stabilen Entwicklung zwischen Juni und Dezember 2014 um fast 50% eingebrochen.

Ölpreisprognose schwierig

Wie sich der internationale Ölmarkt langfristig entwickeln wird, ist schwer einzuschätzen, da sich die Einflussfaktoren für Angebot und Nachfrage ständig verändern. Die Nachfrageseite hängt u.a. stark von der Entwicklung der Weltkonjunktur, der Nutzung alternativer Energiequellen (z.B. im Transportsektor) und der Verbesserungen bei der Energieeffizienz ab. Auf der Angebotsseite ist in den nächsten Jahren sowohl mit positiven als auch mit negativen Einflussfaktoren zu rechnen. Zum einen könnte das Ölangebot infolge der weiteren technologischen Entwicklung bei der Schieferölgewinnung (weitere Produktionssteigerungen in den USA und auch in anderen Ländern sind zu erwarten, wenn die Frackingtechnologie erfolgreich exportiert wird) oder durch das zusätzliche Angebot anderer Länder (z.B. des Irans infolge einer Aufhebung der Sanktionen) steigen und Druck auf die Ölpreise ausüben. Zum anderen könnten geopolitische Spannungen und Unruhen in den ölexportierenden Ländern die Ölproduktion beeinträchtigen und folglich die Preise in die Höhe treiben. Schließlich könnte die Zuteilung geringerer Förderquoten durch die OPEC die Preise stützen. In diesem Fall würden die höheren Preise zum Teil durch niedrigere Produktionsmengen der Mitgliedsländer, einschließlich der VAE, neutralisiert werden (auf den Sitzungen im vergangenen Monat hat die OPEC die Förderquoten unverändert gelassen).

Ölpreise derzeit unter ­Breakeven-Niveau

Die Öl- und Gasreserven der VAE sind längst noch nicht ausgeschöpft. Bei einer Fördermenge auf dem Niveau von 2013 reichen sie noch für weitere 74 Jahre. Doch sind die internationalen Ölpreise mittlerweile unter das Breakeven-Niveau für den Staatshaushalt der VAE gefallen (also das Niveau, unter dem der Staatshaushalt ein Defizit aufweist).

Nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds liegt der Breakeven bei einem Preis von ca. 80 USD je Barrel. Sollte sich der Ölpreis weiter auf dem aktuellen Niveau bewegen, könnte der Staatshaushalt der VAE schon bald (und zum ersten Mal seit 2010) in die Defizitzone abgleiten. Während des Preisverfalls der vergangenen Tage ist der Ölpreis auch unter den Breakeven-Ölpreis für die Leistungsbilanz (also den Wert, ab dem die Leistungsbilanz defizitär wird) gesunken, der auf etwa 64 USD je Barrel geschätzt wird. Im Gegensatz zu anderen Ländern der Region, deren Breakeven-Ölpreise in den vergangenen Jahren gestiegen sind, befindet sich der Breakeven-Ölpreis für den Staatshaushalt und die Leistungsbilanz der VAE aber auf etwa dem gleichen Niveau wie 2010.

Hohes Auslandsvermögen lindert negative Folgen

Weil die VAE viele Jahre in Folge hohe Überschüsse im Staatshaushalt und in der Leistungsbilanz erzielt haben (2011 bis 2013 lagen diese im Durchschnitt bei 6,5% bzw. 16,5% des BIP), waren die Emirate in der Lage, bedeutende Auslandsvermögen durch Investitionen ihrer Staatsfonds (Sovereign Wealth Funds – SWFs) aufzubauen. Prominentestes Beispiel ist der Staatsfonds ADIA von Abu Dhabi.
Schätzungen zufolge beläuft sich das kumulierte Auslandsvermögen der VAE auf über 600 Mrd USD. Das entspricht dem Vierfachen der Auslandschulden, die auf 40% des BIP geschätzt werden. So sind die VAE ein Nettoauslandsgläubiger mit einer Nettovermögensposition in Höhe von 120% des BIP. Außerdem verfügt das Land über eine gute Liquidität, die Devisenreserven decken ca. sechs Monatsimporte ab. Dies entspricht einem komfortablen Devisenpolster, wenngleich es im Vergleich zu anderen Ölexportländern der Region nicht außergewöhnlich hoch ist.

Die Transparenz hinsichtlich der Vermögen der Staatsfonds (und ihrer Fälligkeitsprofile) ist weder in den VAE noch in anderen Ländern der Region besonders groß. Dies erschwert die Bewertung, ob die Vermögen im Fall externer Schocks schnell und zu akzeptablen Preisen in Liquidität umgewandelt werden können. Angesichts der geschätzten Größenordnung ist aber davon auszugehen, dass die VAE im Fall eines größeren Finanzierungsbedarfs über einen ausreichend großen finanziellen Puffer verfügen.

Dubai löst seine Schuldenprobleme

Die Umstrukturierung der in Schwierigkeiten geratenen regierungsnahen Unternehmen in Dubai (Government Related Entities – GREs) ist nahezu abgeschlossen; die letzte größere Umstrukturierung (Dubai Group) wurde im Januar 2014 vollendet. Die Sanierungsmaßnahmen waren nach dem Platzen der Dubai-Blase 2009 notwendig geworden. Damals waren die GREs ernsthaft in Zahlungsprobleme geraten (angesichts der engen Verbindung zum Emir hatten sie zuvor das Vertrauen der Finanzmärkte genossen, obwohl eine explizite Staatsgarantie fehlte). Die Zentralbank der VAE und das Emirat Abu Dhabi mussten die GREs mit einem 20-Mrd-USD-Kredit retten, der bereits Anfang 2014 zu günstigeren Zinssätzen refinanziert werden konnte. Insgesamt ist es den GREs inzwischen gelungen, ihre Verbindlichkeiten zu günstigeren Konditionen umzuschulden. Im August 2014 gab der Immobilienentwickler Nakheel bekannt, dass er seine gesamten Bankschulden vier Jahre früher als ursprünglich geplant zurückgezahlt habe.

Trotz dieser positiven Entwicklung belaufen sich die Verbindlichkeiten der Regierung von Dubai und der GREs immer noch auf etwa 140% des BIP. Fast zwei Drittel dieser Schulden werden vor 2019 fällig. So wird Dubai in den nächsten Jahren nach wie vor anfällig für Schwankungen an den globalen Finanzmärkten bleiben, insbesondere auch dann, wenn die Märkte sensibel auf die Straffung der US-Geldpolitik reagieren. Denn wegen der Anbindung an den US-Dollar muss sich die Geldpolitik der VAE an der US-Geldpolitik orientieren.

Inzwischen haben sich die Preise im Immobiliensektor (der durch die Dubai-Krise stark in Mitleidenschaft gezogen wurde) wieder erholt. Die Preise einzelner Wohnimmobilien in Dubai haben bereits wieder Vorkrisenniveau erreicht. Die zweistelligen Preissteigerungen im Immo­biliensektor im Jahr 2013 hatten Befürchtungen geweckt, dass sich in Dubai eine neue Immobilienblase aufbaut. Doch in den vergangenen Monaten hat sich die Preisentwicklung wieder beruhigt, nachdem die Regierung verschiedene Maßnahmen ergriffen hatte. Durch strengere Voraussetzungen für die Aufnahme von Hypothekenkrediten und höhere Trans­aktionssteuern hatte sie die Anreize für Spekulationen auf dem Immobilienmarkt verringert.

Die ausführliche Länderstudie VAE steht zum kostenlosen Download unter
www.credimundi.de bereit.

Kontakt: c.witte[at]credendogroup.com

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