Vor allem der Verfall der Türkischen Lira führte zum Abbau des außenwirtschaftlichen Ungleichgewichts. Doch weiterhin muss ein hoher Schuldendienst geleistet werden. Die Finanzlage von Banken und Unternehmen sollte kritisch geprüft werden.

Im Dezember 2018 sanken die türkischen Einfuhren um 28,3%, und das Handelsdefizit ging um mehr als 70% zurück. Vor allem der Verfall der Türkischen Lira führte zum Abbau des außenwirtschaftlichen Ungleichgewichts. Doch der Devisenbedarf der Türkei bleibt hoch, da weiterhin ein hoher Schuldendienst zu leisten ist. Die Finanzlage von Banken und Unternehmen sollte kritisch geprüft werden.

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Die Türkei ist zur Deckung ihres hohen Bruttofinanzierungsbedarfs in erheblichem Maße von volatilen Kapitalströmen abhängig. Folglich ist das Vertrauen ausländischer Investoren von großer Bedeutung. Der Verfall der Türkischen Lira im August 2018 unterstreicht die große Anfälligkeit der Wirtschaft für drastische Veränderungen der Risiko­freude ausländischer Investoren.

Im Oktober 2018 stieg die Inflationsrate, unter anderem aufgrund der starken Lira-Abwertung, auf 25,2% an, verzeichnete im Dezember allerdings wieder einen leichten Rückgang auf 20,3%. Mitte September erhöhte die Zentralbank den einwöchigen Reposatz von 17,75% auf 24%. Konsumklima und Anlegervertrauen haben drastisch abgenommen. Angesichts einer restriktiveren Politik und ungünstigerer äußerer Rahmenbedingungen wird für 2019 mit einem Rückgang des BIP gerechnet. Dies steht in starkem Gegensatz zum spektakulären Wachstum des realen BIP in den vergangenen fünf Jahren (zwischen 2013 und 2017 lag der Durchschnitt bei über 6%). Vor diesem Hintergrund stellt sich insbesondere die Frage, welche Faktoren das kurzfristige Länderrisiko der Türkei im Jahr 2019 bestimmen werden.

Liquiditätslage weiterhin schwach

Zur Beantwortung dieser Frage wird zunächst das kurzfristige politische Risiko betrachtet, das die Liquidität eines Landes widerspiegelt. Trotz eines leichten monatlichen Anstiegs von 1% sind die Währungsreserven (Gold ausgenommen) 2018 um nahezu 20% und, basierend auf den aktuellsten Zahlen von Ende November 2018, gegenüber dem Vorjahr um 22,3% zurückgegangen. Schätzungen zufolge decken sie heute noch drei Monatsimporte (2017: vier Monatsimporte) und nur knapp 60% der kurzfristigen Auslandsverschuldung ab (2017: 70%).

Beunruhigend ist darüber hinaus, dass sie auch für die Bedienung des Schuldendienstes nicht ausreichend sind. Das bedeutet, dass die Türkei zur Deckung ihres hohen Bruttofinanzierungsbedarfs in erheblichem Maße von Kapitalströmen abhängig und damit weiterhin anfällig für die Risikowahrnehmung der Investoren ist. Gleichzeitig ist zu erwarten, dass der Bruttofinanzierungsbedarf (der sich aus der kurzfristigen Auslandsverschuldung, der mittel- bis langfristigen Amortisierung sowie dem Leistungsbilanzdefizit zusammensetzt) 2019 abnimmt.

Tatsächlich führten die Abwertung der Türkischen Lira und die Verschlechterung des Konsumklimas dazu, dass die Leistungsbilanz im 3. Quartal 2018 erstmalig seit dem 3. Quartal 2003 wieder einen Quartalsüberschuss auswies. Dieser beachtliche Ausgleich ist insbesondere auf den starken Rückgang der Waren- und Dienstleistungsimporte zurückzuführen.

Da sich die Türkische Lira seit August jedoch leicht erholt hat, bleibt abzuwarten, ob diese Tendenz anhält. Einerseits dürfte die Binnennachfrage verhalten bleiben, was den Import weiterhin dämpfen und damit ein Anhalten des Ausgleichs begünstigen würde. Andererseits führt die Erholung der Türkischen Lira dazu, dass die Preise der Einfuhren in Lokalwährung ebenfalls zurückgehen und sich die Wettbewerbsfähigkeit der Ausfuhren (einschl. Dienstleistungsexporte wie Tourismus) verschlechtert.

Neben Binnennachfrage und Kursschwankungen wirken sich auch andere Faktoren auf die Leistungsbilanz aus wie z.B. die Ölpreise (die Türkei ist Nettoölimporteur), die Auslandsnachfrage (die EU ist wichtigster Handelspartner der Türkei) sowie Goldimporte (als Schutz vor hoher Inflation und Abwertung des Wechselkurses).

Derzeit stuft Credendo das kurzfristige politische Risiko der Türkei in Kategorie 4 von 7 ein. Wenn der Druck auf die Währungsreserven jedoch anhält, die Leistungsbilanz erneut in ein Defizit stürzt oder der Zugang zum Finanzmarkt zur Refinanzierung der kurzfristigen Auslandsverschuldung nicht mehr gewährleistet ist, könnte das kurzfristige politische Risiko auf Kategorie 5 herabgestuft werden.

Hohes Geschäftsrisiko

Das Geschäftsrisiko der Türkei, das die makroökonomischen Faktoren sowie das Geschäftsumfeld und damit die Zahlungsfähigkeit sämtlicher Verpflichteten in einem Land widerspiegelt, wird derzeit in Kategorie C eingestuft (der höchsten Risikostufe auf einer Skala von A bis C).

Der wohl auch künftig anhaltende Rückgang des BIP stellt aufgrund des offenkundigen Zusammenhangs zwischen der Wachstumsleistung und der Bonität der Verpflichteten einen der Risikotreiber dar, jedoch nicht den einzigen. Die mit der hohen Inflation (20,3% im Dezember 2018) einhergehende Währungsunsicherheit sowie Zweifel an der Unabhängigkeit der Zentralbank bilden ein zusätzliches Risiko.

Ein weiterer Faktor ist das Risiko in Verbindung mit der Vorhersagbarkeit der makroökonomischen Politik. Nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Juni 2018 wurde das institutionelle Gefüge von einem parlamentarischen System, in dem der Präsident lediglich eine repräsentative Funktion innehatte, in ein Präsidialsystem mit geringer Kontrolle über das Staatsoberhaupt umgewandelt. Unter der neuen Verfassung kann der Präsident unter anderem Richter und leitende Beamte ernennen, Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen, den Notstand ausrufen und das Parlament auflösen.

Vorausblickend bedeutet dies, dass der Präsident über eine enorme Machtfülle verfügt, die er zum Guten (z.B. zur Gewährleistung stabiler Staatsfinanzen) oder zum Schlechten (z.B. zur Steigerung des Wirtschaftswachstums durch Schaffung innen- und außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte) nutzen kann.

Der Verfall der Türkischen Lira um nahezu 30% im Jahr 2018 stellt auch für Unternehmen ein erhebliches Risiko dar. Die Unternehmensverschuldung (von über 70% des BIP im Juni 2018) ist in den vergangenen Jahren rasch angestiegen und lautet überwiegend auf Fremdwährung. Folglich bewirkt die Abwertung der Türkischen Lira eine Verteuerung der Schulden in Lokalwährung, was dazu führen dürfte, dass Unternehmen mit einer großen Währungsinkongruenz bei der Tilgung der Schulden unter Druck geraten. Außerdem hat der Kreditzins stark zugenommen, und Banken dürften weniger Bereitschaft zeigen, Kredite zu gewähren.

Bisher wurde der starke Anstieg der Unternehmensverschuldung vorwiegend vom Bankensektor finanziert. Dieser weist eine starke Abhängigkeit von der Außenfinanzierung auf, da Nettoauslandsverbindlichkeiten 2017 bei ca. 17% des BIP lagen. Nach der Vertrauenskrise im August 2018 konnten die Banken zur Refinanzierung ihrer Schulden weiterhin auf die Finanzmärkte zugreifen, allerdings zu höheren Kosten.

Vorausblickend gilt es daher, die Passivseite der Banken kritisch zu beobachten – u.a. die Refinanzierungsmöglichkeiten für kurzfristige Schulden sowie den Zugang zum Kapitalmarkt zu einem erschwinglichen Preis. Gleiche Aufmerksamkeit sollte der Aktivseite gelten, da eine Verschlechterung der Qualität der Vermögenswerte vor dem Hintergrund niedrigeren Wirtschaftswachstums und höherer Unternehmensverschuldung wahrscheinlich ist.

Ausführliche Länderberichte finden Sie auf der Internetseite www.credendo.com.

c.witte@credendo.com

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