Schon heute sind deutsche Unternehmen international anerkannt für ihre Bemühungen um hohe Menschenrechtsstandards. Ziehen sich deutsche Unternehmen aus internationalen Lieferketten zurück, könnte dies im Ergebnis sogar zu einer Verschlechterung der Menschenrechtsstandards in internationalen Lieferketten führen.

Deutsche Unternehmen sollen noch in dieser Legislaturperiode gesetzlich verpflichtet  werden, den Schutz von Menschenrechten in ihren internationalen Lieferketten sicherzustellen – hierauf sollten sich Unternehmen frühzeitig vorbereiten.

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Seit 2017 regelt ein Gesetz in Frankreich den Schutz der Menschenrechte in der internationalen Lieferkette. Großbritannien und die Niederlande haben seither nachgezogen. Auch auf europäischer und internationaler Ebene wird ein entsprechender Rechtsakt diskutiert. Nun nimmt die Planung der Bundesregierung für eine gesetzliche Regelung Form an – mit womöglich weitreichenden Folgen für deutsche Unternehmen mit einer internationalen Lieferkette.

Das Sorgfaltspflichtengesetz

Die Koalition plant, noch in dieser Legislaturperiode ein Gesetz zum Menschenrechtsschutz in internationalen Liefer­ketten („Sorgfaltspflichtengesetz“) zu verabschieden. Mit dem gemeinsamen Eckpunktepapier der  Bundesministerien für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie für Arbeit und Soziales (BMAS) ist die Bundesregierung nun den ersten Schritt in diese Richtung gegangen. Auch wenn die Einzelheiten noch ungewiss sind und mit einem Gesetzentwurf erst im Jahr 2021 zu rechnen ist, zeichnen sich bereits jetzt erhebliche Compliancerisiken für deutsche Unternehmen ab. Unternehmen mit internationalen Lieferketten sollten daher frühzeitig prüfen, ob sie von dem Sorgfaltspflichtengesetz betroffen sind, und sich darauf vorbereiten.

Entwurf eines Eckpunktepapiers

Nach dem aktuellen Entwurf des Eckpunktepapiers soll das Sorgfaltspflichtengesetz für sämtliche Unternehmen gelten, die in Deutschland ansässig sind und mindestens 500 Mitarbeiter beschäftigen – hierfür sollen auch Mitarbeiter von konzernangehörigen Gesellschaften im Ausland berücksichtigt werden. Anknüpfend an die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte sowie die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen, beschreibt das Eckpunktepapier einen Prozessstandard (Due-Diligence-Standard), den verpflichtete Unternehmen in ihren internationalen Lieferketten beachten sollen, um das Risiko ihrer Tätigkeit für die Beachtung der Menschenrechte zu minimieren. Befolgt ein Unternehmen diesen Prozessstandard nicht, wird es also seinen Sorgfaltspflichten nicht gerecht, drohen bei relevanten Menschenrechtsverletzungen entlang der Lieferkette Bußgelder, der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen und Schadensersatzansprüche der Betroffenen.

Prozessstandard als Sorgfaltspflicht

Der Prozessstandard soll sich nach dem aktuellen Entwurf in mehrere Schritte der Risikoermittlung und -bewertung, das Ergreifen verschiedener Maßnahmen und eine Berichtspflicht gliedern.

Zunächst haben die verpflichteten Unternehmen zu ermitteln und anschließend zu bewerten, ob sich ihre Geschäftstätigkeit potentiell oder tatsächlich auf international anerkannte Menschenrechte auswirkt. In den Fokus sollen hierbei unter anderem Zwangs- und Kinderarbeit, ­Diskriminierung, Einschränkung der Vereinigungsfreiheit sowie die Schädigung der Gesundheit genommen werden. Hierbei sieht der Entwurf des Eckpunkte­papiers vor, dass nicht nur eigene Tätigkeiten, sondern auch aufgrund von Geschäftsbeziehungen mit den Produkten und Dienstleistungen eines Unternehmens verbundene Tätigkeiten Dritter geprüft werden.

Diese Risiken sind sodann mit geeigneten Maßnahmen, z.B. mit entsprechenden Vertragsklauseln mit Lieferanten, zu minimieren; festgestellte negative Auswirkungen sind zu beheben. Die Maßnahmen sind dabei fortlaufend auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen. Um Menschenrechtsverletzungen frühzeitig zu erkennen und zu beheben, haben die Unternehmen außerdem ein Beschwerdesystem einzurichten.

Flankiert werden diese Maßnahmen durch umfangreiche Berichtspflichten. Verpflichtete Unternehmen sollen nach aktuellem Stand jährlich offenlegen, dass sie die tatsächlich und potentiell nachteiligen Auswirkungen ihres unternehmerischen Handelns auf die Menschenrechte kennen und diesen in geeigneter Weise begegnen. Die Berichte sollen für jedermann im Internet einsehbar sein.

Innerhalb des Betriebs sollen die Umsetzung und Einhaltung eines solchen Risikomanagementplans von der Geschäftsführung beispielsweise durch die Ernennung eines Menschenrechtsbeauftragten überwacht werden.

Angemessenheit des Risikomanagements

Umfang, Art und Ausgestaltung der Maßnahmen, die ein Unternehmen im Rahmen seines Risikomanagements zu ergreifen hat, sollen nach dem aktuellen Entwurf des Eckpunktepapiers nicht allgemein festgelegt werden, sondern sich im jeweiligen Einzelfall anhand der Art und des individuellen Kontexts der Geschäftstätigkeit, der Wahrscheinlichkeit, dass sich Risiken verwirklichen, und der Schwere des tatsächlichen oder möglichen Schadens bemessen. Bei der Konkretisierung dieses Maßstabs soll dabei auf „vorhandene geeignete, anerkannte Leitfäden und Rahmenwerke“ zurückgegriffen werden, ohne dass näher bestimmt wird, was das Eckpunktepapier im Einzelnen hierunter versteht; jedenfalls sollen branchenspezifische und  übergreifende Standards als Auslegungshilfe herangezogen werden. Die Verantwortung, Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, bemisst sich wiederum daran, wie nah die Beziehung des Unternehmens zum jeweiligen Zulieferer ist. Je näher die Beziehung zum Zulieferer und je größer die Einwirkungsmöglichkeit des Unternehmens, desto größer die Verantwortung.

Rechtsfolgen von Verstößen, Exkulpation und Safe Harbor

Ein Verstoß gegen die Bestimmungen des Sorgfaltspflichtengesetzes soll geahndet werden mit einem „angemessenen“ Bußgeld, bei einer bestimmten Höhe dieses Bußgelds mit einem Ausschluss von öffentlichen Aufträgen für eine „angemessene Zeit“ und mit einem zivilrechtlichen Anspruch der Geschädigten.

Die zivilrechtliche Haftung der Unternehmen soll jedoch beschränkt sein auf Schäden für Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum und das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Um ihren Schadensersatzanspruch geltend zu machen, müssen die Geschädigten nachweisen, dass die erlittene Beeinträchtigung bei Erfüllung der Sorgfaltspflichten vorhersehbar und vermeidbar gewesen wäre. Haben Unternehmen einen staatlich anerkannten Branchen- oder Schutzstandard implementiert, können sie diese zivilrechtliche Haftung jedoch auf vorsätzliches oder grob fahrlässiges Handeln beschränken. Ein solcher „Safe Harbor“ soll allerdings nur dann gewährt werden, wenn der Standard die gesamte Lieferkette erfasst, sämtliche Kernelemente der Sorgfaltspflicht berücksichtigt und im Rahmen eines Multistakeholderprozesses erarbeitet wurde.

Der Entwurf sieht darüber hinaus eine Exkulpationsmöglichkeit vor, wenn Unternehmen nachweisen können, dass die Beeinträchtigung der Schutzgüter eintrat, obwohl das „Angemessene im Rahmen der tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten“ unternommen worden war. Sind die Unternehmen also ihrer Sorgfaltspflicht nachgekommen und haben einen angemessenen Prozessstandard implementiert, sind sie von der Haftung für dennoch eingetretene Beeinträchtigungen befreit.

Berichtspflichten und Überprüfungen durch Bundesbehörden

Zur Überprüfung, ob die Sorgfaltspflichten eingehalten werden, haben die verpflichteten Unternehmen in regelmäßigen Abständen an die zuständige Bundesbehörde zu berichten. Darüber hinaus soll die zuständige Bundesbehörde auf Grundlage eines risikobasierten Ansatzes und bei Hinweisen Dritter auf Verstöße gegen das Gesetz die Einhaltung der Sorgfaltspflichten einzelfallbezogen prüfen können. Kommt es dabei zu Beanstandungen, haben die betroffenen Unternehmen ihre Prozesse und Maßnahmen nachzubessern. Reichen diese Nachbesserungen jedoch nicht aus, soll die Behörde ein „angemessenes“ Bußgeld festsetzen können.

Bewertung

Die Menschenrechte bilden das Fundament, auf dem die Europäische Union und die Bundesrepublik Deutschland gegründet sind. Viele Unternehmen legen schon jetzt großen Wert darauf und betreiben erheblichen Aufwand, Menschenrechte entlang ihrer Lieferketten zu schützen. Bisher folgt dies jedoch keinem einheitlichen Standard. Ein Sorgfaltspflichtengesetz verspricht insofern Rechts- und Handlungssicherheit sowie ein „Level Playing Field“.

Hierbei ist jedoch darauf zu achten, dass die darin verankerten Sorgfaltspflichten nicht das Gegenteil bewirken und sich Unternehmen aus internationalen Lieferketten zurückziehen, ins Ausland abwandern oder aber deutsche Unternehmen aufgrund der aufzuwendenden Kosten einen Wettbewerbsnachteil erleiden. Dies hätte nicht nur erhebliche Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland, sondern auch für die internationale Menschenrechtslage.

Schon heute sind deutsche Unternehmen international anerkannt für ihre Bemühungen um hohe Menschenrechtsstandards. Ziehen sich deutsche Unternehmen aus internationalen Lieferketten zurück, könnte dies im Ergebnis sogar zu einer Verschlechterung der Menschenrechtsstandards in internationalen Lieferketten führen.

Vor diesem Hintergrund sind vor allem die umfangreiche Haftung und Berichtspflicht kritisch zu betrachten. Nach dem Entwurf des Eckpunktepapiers sollen Unternehmen für Menschenrechtsverstöße entlang der gesamten Lieferkette haften. Bedenkt man, dass ein durchschnittliches Hemd bis zu 140 Produktionsschritte hat, komplexe chemische Produkte womöglich bis zu mehreren Tausend, und dass manche Unternehmen bis zu 100.000 Zulieferer haben, wird das damit einhergehende Haftungsrisiko einige Unternehmen überfordern – sie würden für Risiken und Verhalten Dritter haften, die sie weder kennen noch in zumutbarer Weise verhindern können. Ebenso wenig kann von Unternehmen verlangt werden, sämtliche dieser Produktionsschritte und Zulieferer zu überwachen und hierüber berichten zu müssen. Der damit verbundene Aufwand steht gänzlich außer Verhältnis zum Zweck einer solchen Berichtspflicht.

Um die Folgen für Unternehmen abzu­federn und den möglichen negativen Folgen entgegenzuwirken, sieht das Sorgfaltspflichtengesetz im Sinne des Grundsatzes „Befähigung statt Rückzug“ staatliche Unterstützungsangebote vor, ohne jedoch im Einzelnen darzulegen, wie diese ausgestaltet sein werden. Insofern sind die weiteren Entwicklungen der Ressortabstimmung mit Spannung zu erwarten.

Fazit

Das Sorgfaltspflichtengesetz verspricht Rechts- und Handlungssicherheit für Unternehmen im Umgang mit Menschenrechten in internationalen Lieferketten. Nach dem aktuellen Entwurf des Eckpunktepapiers wird dies jedoch mit einem erheblichen Compliancerisiko verknüpft, das viele Unternehmen überfordern dürfte. Insbesondere kleinere Mittelstandsunternehmen mit etwas über 500 Mitarbeitern könnte dies hart treffen. Auch wenn mit einem Gesetz nicht vor 2021 zu rechnen und eine Umsetzungsfrist von drei Jahren vorgesehen ist, drohen hierdurch der Rückzug von deutschen Unternehmen aus internationalen Lieferketten, Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmen oder sogar eine Verschlechterung des internationalen Menschenrechtsstandards.

Bei der weiteren Verhandlung über einen zukünftigen Gesetzentwurf muss man dies im Blick behalten und die Sorgfaltspflichten wie auch die Haftung und die Berichtspflichten auf ein realistisches und angemessenes Maß beschränken. Das Sorgfaltspflichtengesetz wird kommen – Unternehmen müssen Verantwortung für ihre Lieferketten übernehmen, dürfen aber nicht über Gebühr mit Compliancemaßnahmen belastet werden. Es ist darauf zu achten, dass nicht unsere hohen Maßstäbe zum Mindeststandard für weltweites unternehmerisches Handeln gemacht werden.

l.harings@gvw.com

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