Russland weist derzeit die höchsten Wachstumsraten in Osteuropa auf. Investitionen in Infrastruktur und Energiewirtschaft ­beflügeln den Absatz deutscher Anlagen-, Maschinen- und Elektrogerätehersteller. Der WTO-Beitritt gibt Politik und Wirtschaft neue Impulse und dürfte langfristig für ein wachsendes Marktpotential in Russland sorgen. Trotz des verbesserten Zahlungs­verhaltens russischer Geschäftspartner bleibt ein gutes Risikomanagement unabdingbar.

Von Sylvia Röhrig, Redakteurin ExportManager, F.A.Z.-Institut

Mit dem im Dezember 2011 beschlossenen WTO-Beitritt setze sich Russland zwar politisch unter Reformdruck, und auch die Wirtschaft erhalte wichtige Impulse, doch ein schneller Wandel sei unter den derzeitigen politischen Bedingungen noch nicht absehbar. Darüber waren sich die Referenten des Länderworkshops Russland, der im Rahmen des Kongresses Länderrisiken der Coface am 26. April 2012 in Mainz stattfand, einig.

Noch stehe die Ratifizierung des WTO-Beitritts durch das russische Parlament (Duma) im Juni 2012 aus. Und auch wenn diese erfolgt sei, habe das Land noch einige Jahre Zeit, um sich auf die neuen WTO-Regeln einzustellen, erläuterte Dr. Rainer Wedde, Professor für Wirtschaftsrecht an der Wiesbaden Business School und Of-Counsel für Beiten Burkhardt in Moskau. Denn bis zum Jahr 2020 würde eine Reihe von Übergangsregeln gelten.

Wenn die wichtigsten WTO-Prinzipien (dazu zählen u.a. die Gleichbehandlung der Handelspartner, der Schutz des geistigen Eigentums und die internationale Streitbeilegung) zur Geltung kämen, ­stiege die Rechtssicherheit für ausländische Unternehmen, führte Wedde aus. Weitere zu erwartende positive Effekte seien die Abschaffung der Stahlquote, die Aufhebung der Lokalisierungspflicht und die Kürzung der Subventionen. Der Durchschnittszoll für Importgüter werde von 10% auf 7,8% sinken. Russ-land sei dann nicht mehr berechtigt, einseitige Beschränkungen vorzunehmen. Mit dem Fall der Handelsbarrieren würden bislang geschützte Branchen stärker der Konkurrenz ausgesetzt. Der nationale Maschinenbau und die Kfz-Industrie könnten dann in Schwierigkeiten geraten. Für deutsche Unternehmen vor Ort, die sturmerprobter seien, würden sich dagegen die Geschäftschancen verbessern.

Ein positives Bild der russischen Wirtschaftsentwicklung zeichnete Monika Wöhrmann, Relationship Managerin bei der Landesbank Baden-Württemberg. Russlands wirtschaftliche Erholung zeige sich robust. 2011 legte das BIP um 4,3% zu. Für 2012 wird ein Plus von 3,5% erwartet. So verzeichnet Russland zurzeit die höchsten Wachstumsraten in der Region Mittel- und Osteuropa. Der private Konsum profitiert von Reallohnsteigerungen und einer niedrigen Arbeitslosigkeit. Nach einem Plus von 6,4% im Jahr 2011 dürfte er 2012 um gut 5% zulegen. Auch die Investitionstätigkeit (2011: +6%) dürfte dynamisch bleiben. Wegen des anhaltend hohen Ölpreises sind die staatlichen Kassen gefüllt. Die geplanten staatlichen Investitionen in die Infrastruktur und die Modernisierung der Wirtschaft können somit umgesetzt werden.

Alexander Stepanenko, Exekutiv-Direktor der OOO VEKA RUS, einer Zulieferfirma für den Fensterbau, sowie Hannes Chopra, Entrepreneur und Consultant im Bereich Versicherungswirtschaft, betonten das hohe Potential des russischen Marktes. VEKA RUS profitiere von der eurasischen Zollunion bei der Lieferung nach Weißrussland und in andere GUS-Märkte. Chopra sieht großes Potential bei Versicherungsdienstleistungen für europäische Investoren, weil die Marktdurchdringung noch sehr gering sei und die geplante Liberalisierung im Finanzsektor der Branche Impulse geben würde.

Trotz der aktuell guten makroökonomischen Daten gäbe es Risiken hinsichtlich der Nachhaltigkeit des Wachstums, gab Wöhrmann zu bedenken. Die russischen Strukturprobleme seien längst nicht gelöst. Der Staat hänge am Tropf der Rohstoffeinnahmen. Die Anfälligkeit der Wirtschaft für einen Rückgang der Energiepreise sowie Kapitalflucht blieben wichtige Schwachstellen, erläuterte sie.

Dr. Jutta Falkner, Chefredakteurin von Ost-West-Contact, wies auf die beeindruckende Entwicklung des deutsch-russischen Handels hin. Deutsche Unternehmen profitieren von der starken Nachfrage Russlands nach Investitionsgütern. Fast die Hälfte der russischen Importe aus Deutschland entfällt auf Maschinen, Ausrüstungen und Transportmittel. Angesichts der zunehmenden Investitionen in die Stromwirtschaft steigt insbesondere die Nachfrage nach Turbinen, Generatoren und Transformatoren. Nach Angaben des Deutschen Zentralverbands Elektrotechnik und Elektroindustrie (ZVEI) legten im Zeitraum Januar bis Februar 2012 die Elektroexporte nach Russland um 24% gegenüber dem Vorjahr zu.

„Zweifelhafte Forderungen haben in Russland einen beträchtlichen Umfang und dürfen nicht unterschätzt werden“, erläutert Coface im Handbuch Länderrisiken 2012, das pünktlich zum Kongress Länderrisiken erschienen ist. Zudem beeinträchtige immer noch die unzureichende Durchsetzung von Rechtsvorschriften das Geschäftsumfeld, das mit B deutlich schlechter bewertet wird als z.B. das Brasiliens und Indiens (jeweils A3).

Dennoch habe sich die Lage hinsichtlich Insolvenzen und Zahlungsverhalten 2011 in Russland deutlich entspannt, berichtet Creditreform in den Jahresberichten „Insolvenzen in Europa 2011/2012“ und „Länder- und Exportrisiken in Europa 2011/2012“. So seien die Unternehmensinsolvenzen in Russland 2011 um 20,1% auf 12.794 Fälle gesunken. Auch erwiesen sich die Kunden aus Russland inzwischen im Vergleich zu Kunden westeuropäischer Länder als relativ gute Schuldner.

Für 2011 ermittelte Creditreform in einer Umfrage, dass 27,4% der befragten Exporteure bei der Geschäftsabwicklung mit Russland von Zahlungsverzögerungen verschont geblieben seien. Innerhalb Europas verzeichneten nur Österreich, die Schweiz, skandinavische Länder und die Türkei bessere Werte.

26,5% der befragten Exporteure meldeten im Handel mit Russland Zahlungsverzögerungen von bis zu zehn Tagen, 28,3% von bis zu 30 Tagen und 17,7% von über 30 Tagen. Eine Verbesserung des Zahlungsverhaltens zeige sich auch daran, dass der pünktliche Zahlungseingang im Russland-Geschäft 2011 gegenüber dem Vorjahr um 11,4% zugenommen und der Zahlungsverzug über 30 Tage um 4,6% abgenommen hätten.

Um Zahlungsausfälle zu vermeiden, sollten Exporteure auf ein professionelles Risikomanagement (Bonitätsprüfung, Vorkasse, Kreditlimits, schnelles Mahnwesen etc.) setzen, rät Creditreform. Bei einem Erstgeschäft in Russland wird die Einholung von Informationen über den russischen Geschäftspartner unbedingt empfohlen. Neben nationalen Auskunfteien bieten verschiedene internationale Bonitätsprüfer mit Niederlassungen in Russland diese Dienstleistung an.

Rödl & Partner berichten in ihrem aktuellen Newsletter zu Russland von empfindlichen Strafen für russische Exporteure, deren Forderungsausfälle im Auslandsgeschäft auf ein mangelhaftes Forderungsmanagement zurückzuführen seien.

Textkasten: Russland mit anderen Regeln beim Forderungseinzug

Exporteure sollten beachten, dass sich der Forderungseinzug bei russischen Unternehmen wesentlich von europäischen Gepflogenheiten unterscheide, warnt der Kreditversicherer Atradius. So ist das gerichtliche Mahnwesen in der russischen Gesetzgebung nicht vorgesehen. Auch die Zahlung von Verzugszinsen, deren Berechnung in Deutschland gesetzlich geregelt ist, ist bei russischen Unternehmen nicht üblich und bedarf der Einhaltung genauer Formvorschriften, falls der Exporteur davon Gebrauch machen möchte.

Informationen zum Inkasso in Russland enthält die sechste Ausgabe des „International Debt Collections Handbook“, das von Atradius Collections, dem Inkassospezialisten innerhalb der Atradius-Gruppe, im April 2012 veröffentlicht wurde.
Weitere Informationen unter:
www.atradiuscollections.com

Kontakt: s.roehrig[at]faz-institut.de

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