Mit Blick auf eines der umstritteneren, aber dennoch wirtschaftlich bedeutenden Länder des Kontinents zeigen die Risiko­indikatoren ein Nebeneinander von wirtschaftlicher Erholung und politischer Unsicherheit, die für Afrika typisch ist. Stärker als in entwickelten Märkten oder stabilen Schwellenländern sind dort ein wachsames Auge und ein gutes Gespür für die politische Grundstimmung im Land für erfolgreiche Geschäfte hilfreich. Entscheidend ist jedoch stets der nüchterne Blick auf die Zahlen.

Von Christoph Witte, Direktor Deutschland, Delcredere N.V.

Nigeria steht vor wesentlichen politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen. Während sich die Wirtschaft des Landes von der internationalen Finanzkrise erholt, stehen auf der politischen Agenda der weiterhin ungelöste Konflikt im Nigerdelta sowie der geschwächte Bankensektor. Im Vorfeld der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im April 2011 drohen zudem politische Auseinandersetzungen.

Das Amnestieprogramm vom Sommer 2009 und der Waffenstillstand der Rebellen (insbesondere des Movement for Emancipation of the Niger Delta – MEND) haben zur monatelangen Unterbrechung der Feindseligkeiten im Nigerdelta geführt. Darüber hinaus hatte die Regierung vorgeschlagen, 10% der Beteiligungen an Öl-Joint-Ventures an die sogenannten State Communities zu verteilen.

Die Verhandlungen mit den Rebellen stocken seit dem Machtvakuum Ende 2009, als sich der nordnigerianische Präsident Yar’Adua zu einer ärztlichen Behandlung im Ausland aufhielt. Aufgrund der langen Abwesenheit von Yar’Adua ernannte die Nationalversammlung den Südnigerianer Goodluck Jonathan zum amtierenden Präsidenten, der auch ein neues Kabinett benannte. Nach dem Tod von Präsident Yar’Adua am 5. Mai 2010 wurde Jonathan als neuer Präsident von Nigeria vereidigt. Die Nachfolge konnte so auf friedliche Weise geregelt werden.

Präsident Jonathan bleibt bis zu den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr im Amt. Im Frühjahr deutete er an, dass er nicht zur Wahl antreten würde, da dies der stillschweigenden Amtswechselregelung zwischen den Muslimen im Norden und den Christen im Süden widersprechen würde. Nach diesem Turnusprinzip dürfen beide Bevölkerungsgruppen nur für zwei aufeinanderfolgende Amtszeiten einen Präsidenten stellen. Eine Kandidatur Jonathans könnte Zündstoff für politische Instabilität liefern, da dem Norden noch eine Präsidentschaft zusteht. Im Moment kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass sich Präsident Jonathan bei den Präsidentschaftswahlen im April 2011 doch zur Wahl stellt.

Inzwischen scheint Präsident Jonathan fest entschlossen zu sein, das Wirtschaftsprogramm seines Vorgängers Yar’Adua voranzubringen. Vor allem bemüht er sich auch um eine Lösung der Probleme des Nigerdeltas, das seine Heimatregion ist. Dringend notwendig sind Fortschritte bei der Wahlrechtsreform und dem entscheidenden Gesetzesentwurf zur Neuregelung der Erdölförderung (Petroleum Industry Bill). Dieser Gesetzesentwurf steht jetzt in der Nationalversammlung zur Debatte und soll mehr Transparenz und Effizienz im Ölbereich schaffen. Außerdem sollen die Staatseinnahmen gesteigert werden, mit dem Risiko negativer Auswirkungen auf das Investitionsklima.

Im Nigerdelta wächst die Ungeduld der Rebellen, von denen manche die Angriffe auf Ölanlagen wiederaufgenommen haben. Es könnte schwierig werden, den nach der Amnestie beobachteten Anstieg der Ölfördermenge (derzeit ungefähr 2 Mio Barrel/Tag) aufrechtzuerhalten, obwohl Jonathan unter den Rebellen als akzeptabler Gesprächspartner gilt.

Nach den gravierenden Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise (verringerte Energiepreise und Kapitalabflüsse) erholt sich die nigerianische Wirtschaft langsam. Dank des gestiegenen Ölpreises nehmen die Exporteinnahmen zu. Die Devisenreserven wachsen seit vergangenem Sommer langsam an und reichen für die Deckung der Importkosten von mehr als acht Monaten aus. Der Naira hat sich nach einer 25%igen Abwertung Ende 2008 wieder einigermaßen stabilisiert.

Trotz der Abhängigkeit vom Öl- und Gasexport (75% des Gesamtexports) lassen leistungsstarke Branchen wie die Telekommunikation und vor allem die Landwirtschaft, aber auch der prognostizierte mittelfristige Energiepreisanstieg positive Wirtschaftsdaten erwarten. Die Wachstumsprognose für das Bruttoinlandsprodukt liegt für den Zeitraum 2010–2011 bei einem Durchschnitt von 7%.

Obwohl der Leistungsbilanzüberschuss mehr als 10% des BIP betragen wird und sich die Auslandsverschuldung mit 5% des BIP in Grenzen hält, bestehen weitere Risiken. So sind die Auswirkungen der politischen Unsicherheit und des Wahlausgangs auf die makroökonomische ­Stabilität und auf die Beseitigung struktureller Hindernisse (wie mangelhafte Infrastruktur und regelmäßige Stromausfälle) noch nicht absehbar. Diese Hindernisse beschränken das Wirtschaftspotential Nigerias.

Auch der Bankensektor ist gefährdet, obwohl die Zentralbank im September 2009 erst zehn der 24 nigerianischen Banken gerettet hatte. Die Banken sind vermutlich mit höheren notleidenden Krediten belastet als veröffentlicht wurde. Eine erfolgreiche Umstrukturierung des Bankenbereichs ist von großer Bedeutung für die Erhaltung des Anlegervertrauens, die Vermeidung neuer Kapitalabflüsse und von Belastungen des Nairas (dessen Kurs 2010 bislang relativ stabil blieb).

Darüber hinaus wird die Haushaltskon­solidierung auf kurze Sicht unzureichend bleiben. Nachdem das Staatshaushalts­defizit aufgrund des Einbruchs der Öl­einnahmen 9,7% des BIP erreichte, wird es wegen der zu erwartenden Wahl­geschenke eher hoch bleiben, mit dem Risiko weiterer Entnahmen aus dem Rücklagenkonto (Excess Crude Account) von Nigeria.

Kontakt: c.witte[at]delcredere.eu

17 replies on “Nigeria trotz politischer Risiken interessant”

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