Kambodscha ist zurzeit der dynamischste Wachstumsmarkt in Südostasien. Das kleine Königreich in der Mekong-Region mit ­Grenzen zu Thailand, Laos und Vietnam zählt allerdings lediglich 16 Millionen Einwohner. Doch angesichts einer sehr jungen ­Bevölkerung, der fortschreitenden Integration in die ASEAN Economic Community (AEC), der liberalen Wirtschaftspolitik und des großen Nachholbedarfs hinsichtlich Investitionen und Konsum bietet das Land zunehmend Geschäftschancen.

Von Sylvia Röhrig, Freie Journalistin, Phnom Penh

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Für die deutsche Wirtschaft, die bislang nur schwach vor Ort vertreten ist, wird es Zeit, sich stärker mit dem Land zu beschäftigen.

Kambodscha boomt seit 25 Jahren – mit nur kurzer Unterbrechung 2009. Das Bruttoinlandsprodukt wächst seit 1994 um 7,6% im Jahresdurchschnitt. Ökonomen der Weltbank prognostizieren, dass sich die hohe Wachstumsdynamik 2017 und 2018 aufgrund der kräftigen Inlandsnachfrage (+10%) mit einem BIP-Zuwachs von rund 7% fortsetzen wird. Hiermit übertrifft Kambodscha das Durchschnittswachstum aller ASEAN-Länder, das im gleichen Zeitraum bei knapp 5% liegt.

Hauptwachstumstreiber sind die Textilindustrie, der Tourismussektor und die Bauwirtschaft. Stetig wachsende Ausfuhren von Bekleidung und Schuhen sowie steil steigende Touristenzahlen sorgen dafür, dass die Exporte von Gütern und Dienstleistungen seit vielen Jahren zweistellig zunehmen. Es sind vor allem asiatische, insbesondere chinesische Firmen, die ihre Produktion nach Kambodscha verlagern, um von der billigen Lohnarbeit zu profitieren. Die Investoren nutzen die Handelspräferenzen, die die Europäische Union Kambodscha zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung gewährt. Über 40% der gesamten Textilexporte gehen in die EU, 31% in die USA (2015). Deutschland ist ein wichtiger Absatzmarkt für kambodschanische Textilien. Bekannte Abnehmer sind die Firmen Adidas, Puma, Deichmann, C&A, Aldi, Lidl und Tchibo.

Investoren kommen aus Asien

Dass der Standort Kambodscha zunehmend für private Investoren interessant geworden ist, zeigt die Entwicklung der ausländischen Direktinvestitionen. Diese haben bereits vor zehn Jahren deutlich an Fahrt aufgenommen und sind inzwischen mit jährlich 1,7 Mrd USD (ca. 8,5% des BIP) deutlich höher als die Entwicklungshilfegelder (derzeit rund 1,3 Mrd USD). Der Löwenanteil der Auslandsinvestitionen kommt aus China, Südkorea, Vietnam, Thailand sowie Malaysia und Japan. Investiert wird vor allem im Bausektor, aber auch in die Infrastruktur, in den Finanzsektor, in die Landwirtschaft und das verarbeitende Gewerbe.

Deutsche Unternehmen sind bislang relativ schwach vertreten in Kambodscha. Das spiegelt sich in den deutschen Ausfuhren wider, die 2016 lediglich 150 Mio EUR erreichten, ein sehr niedriger Wert, auch im Vergleich zu den deutschen Exporten in das Nachbarland Vietnam (2016: 2,6 Mrd EUR). Allerdings legten die deutschen Exporte nach Kambodscha 2015 (+66%) und 2016 (+24%) kräftig zu, mit zwei- bis dreistelligen Wachstumsraten bei Maschinen, Elektrotechnik sowie Fahrzeugen.

Deutsches Interesse steigt

„Wir spüren, dass das Interesse der deutschen Wirtschaft an Kambodscha steigt, und konnten in jüngerer Zeit viele Neuzugänge an Mitgliedern verzeichnen“, sagt Tassilo Brinzer, deutscher Geschäftsmann der Medienbranche und Vorsitzender des Arbeitskreises der Deutschen Wirtschaft (ADW). Der Unternehmerverband, Anfang der 2000er Jahre gegründet, zählt heute 29 Mitgliedsunternehmen. Unter ihnen sind renommierte deutsche Marken der Automobilindustrie (Audi, BMW, Mercedes, Porsche), bekannte Logistiker (DB Schenker, DHL) sowie mittelständische Technologieunternehmen (Riekermann, Bosch, Siemens, Würth).

Um Synergieeffekte zu schaffen, gründeten der ADW, die Chambre de Commerce Franco-Cambodgienne (CCFC) und die British Business Association in Cambodia (BBAC) 2011 die European Chamber of Commerce – kurz: EuroCham Cambodia – eine gemeinsame Interessenvertretung mit inzwischen über 250 Mitgliedern. Deutsche bzw. europäische Unternehmen, die einen Markteintritt erwägen, können sich somit auf ein gutes Netzwerk und ein gewichtiges Sprachrohr für die Kommunikation mit der kambodschanischen Regierung vor Ort stützen.

Bislang sind deutsche Unternehmen meist lediglich mit Handelsvertretungen oder Vertriebsgesellschaften vor Ort tätig. „Kambodscha ist noch nicht reif für die industrielle Hightechproduktion des deutschen Mittelstands. Das ist der Hauptgrund dafür, dass deutsche Unternehmen – bis auf eine Ausnahme – noch nicht vor Ort produzieren“, erläutert ­Brinzer.

Deutsche lokale Produktion noch Ausnahme

Die Ausnahme ist die Firma ECO PARTS CO., LTD., eine Tochter der BOS-Gruppe, eines weltweit tätigen Automobilzulieferers aus dem Stuttgarter Raum. Sie nutzt Kambodscha als kostengünstigen Low-Tech-Produktionsstandort, um Kunden des eigenen Netzwerks in der ASEAN-Region zu beliefern. ECO PARTS produziert u.a. Sicherheitsnetze, Laderaumabdeckungen, manuelle Sonnenschutzsysteme und Verstautaschen für die Automobilindustrie.

„Wir stellen in unserem Werk in Phnom Penh Halbwaren mit einem hohen Näh- und Montageanteil her“, erläutert Johann E. Barensteiner, Managing Director von ECO PARTS. „Auf der Suche nach einem geeigneten Produktionsstandort in der Region haben wir uns für Kambodscha bzw. gegen Vietnam und Myanmar entschieden. Kambodscha schnitt aus unserer Sicht hinsichtlich Wettbewerbsfähigkeit, politischer Stabilität, Arbeitskosten, Qualität der Infrastruktur und der gesetzlichen Rahmenbedingungen am besten ab“, so Barensteiner.

Lokaler Markt mit ­Herausforderungen

„Wir profitieren bei Bosch vom Boom in der Bauwirtschaft und im Automobilmarkt und bedienen die steigende Nachfrage nach Elektrowerkzeugen und Bausicherheitssystemen sowie Ersatzteilen für Pkw und Nutzfahrzeuge“, sagt André de Jong, Managing Director für Bosch in Kambodscha, Myanmar und Laos. „Seit 2004 am Markt, haben wir 2013 mit der Gründung einer Tochtergesellschaft unsere Aktivitäten in Kambodscha weiter ausgebaut. Mittelfristig erwarten wir, dass die wachsende Mittelschicht für eine steigende Nachfrage nach Haushaltsgeräten sorgen wird“, so de Jong.

Antoine Jeanson, Managing Director von Audi Cambodia, weist allerdings auf drei zentrale Schwachstellen der kambodschanischen Wirtschaft hin: Der lokale Markt sei klein, die kaufkräftige Nachfrage aufgrund der sich nur langsam entwickelnden Mittelschicht begrenzt, und das Geschäftsumfeld habe seine Tücken.

Weil Kambodscha nach der Schreckensherrschaft des Khmer-Rouge-Regimes bei null anfangen musste, ist das Pro-Kopf-Einkommen trotz hoher Wachstumsraten immer noch niedrig. Immerhin überschritt das Königreich 2015 mit 1.070 USD pro Kopf eine bedeutende Schwelle und stieg im Klassifizierungssystem der Weltbank in die Kategorie der „Lower Middle Income Countries“ auf. Doch trotz großer Erfolge bei der Armutsbekämpfung nimmt der Anteil der kaufkräftigen Mittelklasse (Weltbankschätzung 2012: ca. 2%) nur sehr langsam zu.

„Die Gründung unserer Vertriebsgesellschaft im Jahr 2014 war aufgrund der liberalen gesetzlichen Vorschriften einfach und schnell zu bewerkstelligen. Die Herausforderungen kamen erst mit dem zweiten Schritt wegen der spezifischen Merkmale des kambodschanischen Automarktes“ erläutert Jeanson. Hauptproblem sei der in Kambodscha kaum regulierte Gebrauchtwagenmarkt. 90% der Autos, die in Kambodscha zugelassen seien, seien Gebrauchtwagen. „Unsere größten Konkurrenten sind Gebrauchtfahrzeuge der eigenen Marke, oft Havarieware oder Unfallwagen, die importiert werden. Ein bedeutender Teil unserer Arbeit besteht darin, darauf hinzuwirken, dass die Regierung ein besseres Regulierungsumfeld für die Automobilfirmen schafft. Unternehmen sollten vor dem Markteintritt in Kambodscha die spezifischen Marktmerkmale ihrer Branche sehr genau analysieren“, empfiehlt Jeanson.

Geschäftsumfeld verbesserungsbedürftig

Viele Unternehmen bemängeln das schwierige Geschäftsumfeld. Zu den wichtigsten Problemfeldern zählen die unzureichende Transportinfrastruktur, die im regionalen Vergleich hohen Stromkosten, die mangelhaften gesetzlichen Rahmenbedingungen, bürokratische Hürden, die verbreitete Korruption sowie eine zu geringe Qualifizierung der Arbeitskräfte. Im Doing Business Report 2017 der Weltbank rangiert Kambodscha auf Platz 131 von 190 Ländern gleich hinter Indien und vor Tansania, allerdings mit einem stetigen Trend zur Verbesserung.

Die Regierung hat Interesse daran, die Diversifizierung der Produktionsbasis und die Wertschöpfungstiefe voranzutreiben. Sie lockt mit finanziellen Anreizen in mehr als 20 über das ganze Land verteilten Sonderwirtschaftszonen. „Die Regierung unternimmt große Anstrengungen, um die Mängel im Geschäftsumfeld zu beseitigen. Wir sehen erste Erfolge im Bereich der Korruptionsbekämpfung und des Bürokratieabbaus, was auch durch die Einführung elektronischer Registrierungssysteme erreicht wird. Angesichts bedeutender Investitionsvorhaben erwarten wir in den nächsten Jahren eine spürbare Verbesserung in der Transportinfrastruktur und Stromversorgung“, lautet die Einschätzung von de Jong.

„Es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis einzelne deutsche Firmen im Rahmen der Reorganisation ihrer regionalen Wertschöpfungsketten ihre Produktion nach Kambodscha auslagern werden“, glaubt Brinzer. In der Tat werden japanische Firmen demnächst vorführen, wie das gehen kann. In der Sonderwirtschaftszone Poipet an der Grenze zu Thailand wird sich ein Cluster von japanischen Automobilzulieferern bilden, die Fahrzeughersteller in Thailand beliefern werden.„Poipet wird Teil einer Wertschöpfungskette, die sich über 700 km von Bangkok bis Ho-Chi-Minh-Stadt erstrecken wird“, sagt Masahi Kono, Leiter von Jetro, der japanischen Handels- und Investitionsagentur in Phnom Penh.

Das ist auch die Vision von André de Jong: „Kambodscha hat ein großes Potential, den Wandel von einer arbeitsintensiven Low-Tech-Industrie in eine Industrie, die auf qualifizierte Arbeitskräfte und eine höhere Wertschöpfung baut, zu schaffen. Dieser Wandel dürfte sich in weniger als zehn Jahren durch die strategisch günstige Lage im Herzen Südostasiens, die fortschreitende Integration in die AEC, die Verbesserung der Transportwege zwischen den ASEAN-Ländern sowie die Entwicklung der Infrastruktur und Sonderwirtschaftszonen vollziehen.“

Sonderwirtschaftszone mit InSite Bavaria

„Wenn wir deutsche Technologieunternehmen in Kambodscha ansiedeln wollen, müssen wir ein industrielles Umfeld schaffen, das den Bedürfnissen und dem hohen Standard des deutschen Mittelstands angepasst ist“, sagt Charles Esterhoy, COO der Sonderwirtschaftszone Kerry Worldbridge Logistics. Das singapurisch-kambodschanische Joint Venture hat auf einem 63 ha großen Gelände 17 km südlich von Phnom Penh einen Industriepark errichtet. Dort soll in Partnerschaft mit InSite Bavaria, einem ­deutschen Beratungsunternehmen, das auf die Entwicklung von ökologischen Hightechindustrieparks spezialisiert ist, und mit der Unterstützung von Bayern International ein Industrie- und Technologiecluster entwickelt werden. Die ­Partner erarbeiten gemeinsam ein An-siedlungs‐ und Wertschöpfungskonzept, das auch für den deutschen Mittelstand attraktiv ist. Investoren sollen dann ein ganzes Paket an Technologieberatung, Berufsausbildung, Handels- und Logistikdienstleistungen sowie eine günstige ökologische Stromversorgung in An-spruch nehmen können. Dieses Projekt könnte ein Meilenstein für die Ansiedlung deutscher Unternehmen in Kam-bodscha werden.

Gewisse Risiken in Sicht

Derweil weisen Experten vor Ort auch auf gewisse konjunkturelle und politische Risiken hin. Dreistellige Wachstumsraten jährlich insbesondere im Wohnungsbau in Phnom Penh signalisieren Überhitzungstendenzen und die Gefahr einer Blasenbildung.

Die Wirtschaft ist in einem hohen Ausmaß „dollarisiert“. Das hat in den vergangenen Jahren zwar die wirtschaftliche Stabilität gefördert. Die kambodschanische Zen-tralbank hat jedoch nur wenige Möglichkeiten, den Geldmarkt zu beeinflussen. Steigende Zinsen in den USA und ein starker US-Dollar könnten die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in Kambodscha zunehmend belasten.

Auch die bevorstehenden Wahlen – ­Kommunalwahlen 2017 und Parlamentswahlen 2018 – sind mit einer gewissen Unsicherheit behaftet. Bei den Parlamentswahlen im Jahr 2013 hatte die Oppositionspartei (Cambodia National Rescue Party – CNRP), damals noch unter der Führung von Sam Rainsy, starke Zugewinne verzeichnet. Dies und verbreitete Proteste auf der Straße zeugten von der zunehmenden Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Regierung von Ministerpräsident Samdech Hun Sen und seiner Kambodschanischen Volkspartei (Cambodian People Party – CPP). Hun Sen regiert das Land seit 1985 mit eiserner Hand. Aus heutiger Perspektive dürfte er weiterhin fest im Sattel sitzen. Die Regierung ist erfolgreich dabei, die Opposition systematisch mit zum Teil fragwürdigen rechtlichen Mitteln schwach zu halten.

Weitere Informationen zu deutschen bzw. europäischen Unternehmen in Kambodscha sind unter folgenden Links abzurufen: http://www.adw-cambodia.org/ und http://www.eurocham-cambodia.org/.

Kontakt: redaktion@exportmanager-online.de

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