Indien zählt derzeit zu den Wachstumstreibern der Weltwirtschaft. Während andere Emerging Markets unter niedrigen Rohstoffpreisen und politischer Unsicherheit leiden, glänzt der Subkontinent mit robusten Wachstumsraten. Die Reformagenda der 2014 gewählten Regierung Modi wird bislang zwar nur langsam umgesetzt, doch die Kaufkraft steigt und lockt ausländische Investoren an. Daher bietet das Land am Ganges auch für deutsche Exporteure interessante Handelschancen.

Von Andreas Tesch, Chief Market Officer, Atradius Kreditversicherung

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Aus den Parlamentswahlen 2014 ging die Bharatiya Janata Party (BJP) mit einer absoluten Mehrheit im Unterhaus hervor. Trotz des Wahlsiegs der BJP hat die Opposition im Oberhaus des Parlaments weiterhin die Mehrheit. Diese hat die Umsetzung zahlreicher angekündigter Reformgesetze, mit denen die Korruption eingedämmt und das Wachstum angekurbelt werden sollen, bislang gebremst, da die neue Regierung hierfür die Mehrheit in beiden Kammern benötigt.

Einheitliche Mehrwertsteuer geplant

Im Zentrum der Reformansätze steht die Einführung einer nationalen Waren- und Dienstleistungsteuer (GST), die das Wirtschaftswachstum entscheidend beleben könnte, da sie Handelshemmnisse zwischen den indischen Bundesstaaten abbauen und einen einheitlichen Binnenmarkt schaffen würde. Zudem will Ministerpräsident Modi die ausufernde Bürokratie eindämmen und die Investitionen in Bildung und Infrastruktur erhöhen. Der Subkontinent soll für ausländische Investoren deutlich attraktiver werden.

Robustes Wachstum setzt sich fort

Trotz der nur langsam in Fahrt kommenden Reformen ist die indische Wirtschaft in jüngster Vergangenheit sehr stark gewachsen. Der Konjunkturausblick bleibt überdurchschnittlich – selbst im innerasiatischen Vergleich. Das reale BIP dürfte im Ende März abgeschlossenen Haushaltsjahr 2015 um 7,3% gestiegen sein, für 2016 wird sogar ein Plus von 7,6% erwartet. Eine insgesamt stabile politische Lage, niedrige Ölpreise (von denen Indien als großer Nettoimporteur profitiert) sowie hohe Portfolio- und Direktinvestitionen aus dem Ausland beleben die Konjunktur. Die Inlandsnachfrage wächst auf der Grundlage eines robusten privaten Konsums (+7,4% 2015), einer zunehmenden Industrieproduktion und steigender Investitionen. Die wirtschaftliche Abschwächung in einigen wichtigen Schwellenländern wie China wirkt sich nur begrenzt auf die indische Volkswirtschaft aus, da Exporte lediglich 25% des indischen BIP ausmachen. Die Inflation, die noch vor wenigen Jahren mehr als 9% pro Jahr betragen hatte, ist 2015 auf unter 5% gesunken, was vor allen Dingen der Kaufkraft der Unter- und Mittelschicht zugutekommen dürfte. Auch das jetzt niedrigere Zinsniveau erleichtert Investitionen und Konsumentenkredite und fördert somit das Wachstum der Wirtschaft.

Exportchancen in vielen Branchen

Die aufstrebende indische Mittelschicht profitiert von diesem Wachstum nachhaltig und kann ihre verfügbaren Einkommen deutlich steigern. Dazu tragen die fortgesetzte Urbanisierung des Landes ebenso bei wie die zunehmende Anzahl hochqualifizierter Arbeitsplätze beispielsweise im dynamischen IT-Bereich. Bis 2020 werden sich die Einzelhandelsumsätze Schätzungen zufolge auf etwa 1.000 Mrd USD gegenüber 600 Mrd USD im vergangenen Jahr nahezu verdoppeln. Dies bietet insbesondere Exporteuren von langlebigen Konsumgütern wie Haushaltsgeräten und Unterhaltungselektronik sowie dem Einzelhandel generell hervorragende Geschäftsmöglichkeiten.

Chemie und Maschinen sind gefragt

Die rasche Industrialisierung des Landes bietet zudem Herstellern von chemischen Erzeugnissen und Kunststoffen interessante Geschäftschancen, wobei diese Segmente ebenso wie der Handel von den positiven Wachstumsaussichten im Endverbrauchergeschäft profitieren. Auch für den Maschinen- und Anlagenbau stehen die Signale auf Grün, da Indiens Regierung massive Investitionen in die Infrastruktur plant, von denen neben Ausrüstern im Eisenbahn- und Nahverkehrsbereich auch die Bauindustrie profitieren wird. Schließlich müssen die zahlreichen neu entstehenden Fabriken der Privatwirtschaft mit Investitionsgütern ausgerüstet werden, was dem hochspezialisierten deutschen Maschinenbau erhebliche Marktchancen eröffnet.

Risikofaktor Schulden

Bei aller Euphorie sollten Lieferanten allerdings die Bonität ihrer Kunden genau im Auge behalten, wenn sie Aufträge annehmen, denn der indische Unternehmenssektor leidet unter einem Schuldenüberhang: Die durchschnittliche Schuldenquote indischer Unternehmen außerhalb des Finanzsektors liegt bei über 85%, bezogen auf das Eigenkapital. Die Dollarisierung der inländischen Kreditvergabe hat seit 2013 deutlich zugenommen, und indische Unternehmen mit hohen Auslandsschulden sind deswegen besonders empfindlich für Änderungen der Kapitalflüsse, steigende Zinsen und schwankende Wechselkurse.

Hohe Zahlungsausfälle

Aufgrund des hier beschriebenen Kreditrisikos in Verbindung mit der Tatsache, dass es in Indien kein gerichtliches Mahnverfahren gibt, sollten Exporteure sehr umsichtig bei der Wahl ihrer Geschäftspartner sein. Bei einer im vergangenen Jahr von Atradius durchgeführten Um-frage unter Exportunternehmen zur Zahlungsmoral in Indien gaben 97% der Befragten an, schon einmal verspätete Zahlungen aus Indien erhalten zu haben. Noch gravierender ist der Anteil der abgeschriebenen Forderungen, der mehr als 80% über dem europäischen Durchschnittswert liegt. Eine Kreditversicherung bietet exportierenden Unternehmen eine Absicherung gegen die geschäftlichen Risiken vor Ort.

Die ausführliche Atradius-Länderstudie zu Indien in englischer Sprache finden Sie hier: https://atradius.de/publikation/country-report-india.html

 

Kontakt: andreas.tesch@atradius.com

 

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