Auch wenn wir uns – ohne dass schon eine Ende in Sicht wäre – mittlerweile im sechsten Jahr einer der größten globalen ­Wirtschafts- und Finanzkrisen befinden: Bei den deutsch-russischen Handelsbeziehungen gibt es weiterhin mehr Licht als Schatten. Während 2011 der deutsche Osthandel insgesamt um 19% gestiegen ist, wuchs der Handel speziell mit den GUS-Staaten noch ­stärker: um stattliche 26%.

Von Jochen Anton-Boicuk, Group Head Export Finance CEE & CIS, Commerzbank AG

Betrachtet man nur den Handel mit der Russischen Föderation, so stiegen die deutschen Exporte sogar um 31% auf einen neuen Rekordwert von 34,4 Mrd EUR.

Die Prognose des russischen Wirtschaftsministeriums für das laufende Jahr geht von einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts um 3,4% aus. Dass es sich dabei nicht um behördliches Wunschdenken handelt, bestätigt u.a. der aktuelle Trend bei den Bruttoanlageinvestitionen in Russland: Sie haben sich allein im ersten Quartal 2012 um 11,2% gegenüber dem gleichen Vorjahresquartal erhöht.

Wie aus dem Halbjahresbericht 2012 über die Exportkreditgarantien der Bundesrepublik Deutschland hervorgeht, stieg das Volumen der im ersten Halbjahr 2012 neu übernommenen Hermesdeckungen für Russland um 35% auf 1,7 Mrd EUR. Damit ist Russland wieder das Land mit den höchsten neu übernommenen Deckungen.

Vieles spricht dafür, dass sich die Sonderkonjunktur im deutsch-russischen Handel auch in den nächsten Monaten fortsetzen wird: zum einen die aus der abgeschlossenen Regierungsbildung resultierende Stabilität und Prognosefähigkeit bzgl. Investitionsentscheidungen mit staatlichem Hintergrund, zum anderen die guten Preise für die Rohstoffe Russlands und nicht zuletzt eine extrem modernisierungs­bedürftige produzierende Industrie. Auch der nach 18-jährigen Verhandlungen Ende Juli 2012 vollzogene Beitritt Russlands zur Welthandelsorganisation WTO dürfte sich mittelfristig als nützlich er­weisen.

Ist das Geschäft für deutsche ­Unternehmen also frei von Risiken?

Sicher nicht. Die hohe Abhängigkeit vom Öl- und Gassektor ist ungebrochen, die Kapitalisierung von russischen Unternehmen lässt in der Breite erheblich zu wünschen übrig, Maschinen und Ausrüstungen sind oft veraltet. Trotz intensiver Bemühungen zur Eingrenzung von Korruption in den öffentlichen Verwaltungen rangiert Russland nur auf dem 143. Rang im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International (2011).

Auch die Bereitschaft von kleineren russischen Banken, Investitionen von Unternehmen oder in den Regionen zu finanzieren, hält sich in engen Grenzen, was der Finanzierung von Handel und Investitionen oft im Wege steht. Sehr positiv ist dagegen die wesentlich aktivere Rolle zu beurteilen, die staatliche russische Banken mittlerweile bei der Absicherung und Finanzierung von Geschäften spielen. Früher als schwerfällige Behörden verrufen, setzen sie heute Maßstäbe bei Risikobereitschaft, Flexibilität und Schnelligkeit. Die Commerzbank beispielsweise, die seit 1972 in Russland vertreten ist, unterhält seit 2011 eine Rahmenkreditvereinbarung über ein Volumen von 250 Mio EUR mit der größten Bank Russlands, der staatlichen Sberbank. Zu den besonders aktiven russischen Banken im Geschäft mit Hermes-gedeckten Finanzierungen zählen aber auch die ALFA-Bank oder die Promsvyazbank. Insgesamt gibt es Rahmenkreditvereinbarungen der Commerzbank mit mehr als 40 Banken und einigen Unternehmen, so dass Exportfinanzie­rungen effizienter abgewickelt werden können.

In jedem Fall hat sich nichts daran geändert, dass Finanzierungsangebote und -lösungen auch im Jahr 2012 zu den Dauerbrennern im deutsch-russischen Außenhandel zählen. Bei anstehenden Investitionsentscheidungen tragen sie entscheidend dazu bei, dass positive Ergebnisse zustande kommen.

Welche Finanzierungsmöglichkeiten stehen zur Verfügung?

Zunächst entwickelt sich die Nachfrage nach kommerziellen Absicherungs- und Finanzierungslösungen (Garantien und Akkreditiven russischer Banken) weiterhin sehr erfreulich. Limite zur Bestätigung von Akkreditiven oder Anschlussfinanzierungen für russische Banken sind in ausreichendem Maße vorhanden – je nach Bonität der russischen Bank mit differenzierten Laufzeiten (in der Regel bis zu drei Jahre) und Kosten.

Eine besondere Renaissance hat in den vergangenen Jahren die deutsche Exportförderung in Form der Exportkreditgarantien des Bundes (Hermesdeckungen) für den russischen Markt erlebt. So sind seit 2003 die neu herausgelegten Hermesdeckungen für Russland von seinerzeit 800 Mio EUR auf inzwischen 1,7 Mrd EUR im ersten Halbjahr 2012 gestiegen.

Ein zunehmender Anteil daran (80% im ersten Halbjahr 2012) entfällt mittlerweile auf kurzfristige Hermesdeckungen mit bis zu zwei Jahren Laufzeit. Hermes-gedeckte Forderungen unter APG, APG Light oder Ausfuhrgewährleistungen auf der Basis von Einzeldeckungen sind auch als Basis für Forderungsankäufe durch die Hausbank in Deutschland bestens geeignet. Bei mittel- und langfristigen Finanzierungen ab fünf Jahren Laufzeit gibt es dann schon beinahe keine Alternativen mehr zu Hermes-gedeckten Bestellerkrediten.

Was ist bei langfristigen ­Hermes-gedeckten Finanzierungen zu beachten?

Die Rahmenbedingungen für staatliche Kreditversicherer der OECD-Länder (OECD-Konsensus) sehen verbindliche Parameter für langfristige Finanzierungen vor: Mindestens 15% des Auftragswertes sind vom Kreditnehmer außerhalb der Hermes-gedeckten Finanzierung als Anzahlung zu leisten. Die verbleibenden 85% können zzgl. des zu zahlenden Entgelts für die Hermesdeckung finanziert werden. Auch die Finanzierung lokaler Kosten (z.B. Baukosten, lokale Zulieferungen) in Höhe von max. 23% des Auftragswertes ist deckungsfähig.

Die Tilgung des Darlehens kann spätestens sechs Monate nach dem sogenannten Starting Point – definiert als mittleres gewichtetes Lieferdatum, Datum der vollständigen Lieferung oder Datum der Inbetriebnahme – beginnen. Die Rückzahlung erfolgt dann in halbjährlichen Raten in gleicher Höhe zzgl. der jeweiligen Zinsen. Die Kreditlaufzeit kann abhängig von der Höhe des Auftragswertes grundsätzlich bis zu zehn Jahre betragen. Darüber hinaus sind längere Kreditlaufzeiten im Rahmen der jeweiligen OECD-Sektorabkommen möglich.

Aktuell werden 15 russische Banken generell für Indeckungnahmen durch Hermes akzeptiert. Auf der Basis von Einzelfallprüfungen wurden sogar schon mehr als 70 russische Banken in Deckung genommen. Auch für weitere aufstrebende russische Banken ist die Tür nicht verschlossen, sofern sie über eine zufriedenstellende Bonität verfügen.

Wenn sie gängige Bonitätskriterien erfüllen, kommen auch russische Unternehmen für eine direkte Indeckungnahme durch Hermes in Frage. Dabei sind u.a. testierte Jahresabschlüsse nach internationalen Rechnungslegungsstandards erforderlich. Seit März 2011 akzeptiert Hermes für Auftragswerte von bis zu 5 Mio EUR auch Jahresabschlussunterlagen nach RAS (Russian Accounting Standards).

Im Februar 2011 wurde die Russische Föderation in der OECD-Länderkategorisierung von Stufe 4 auf Stufe 3 heraufgestuft, was die Kosten für die Hermes-gedeckte Finanzierung direkt reduzierte. Hermes-gedeckte Finanzierungen profitieren darüber hinaus vom guten Rating der Bundesrepublik Deutschland, das für die Refinanzierung der langfristigen Finanzierungen in den vergangenen Monaten an Bedeutung gewonnen hat.

Fazit

Die anhaltend hohe Nachfrage nach Finanzierungs- und Absicherungslösungen ist ein Indiz dafür, dass diese ein ­wich­tiger Schlüssel für deutsche Exporte nach Russland bleiben. Programme und Maßnahmen der russischen Regierung zur Stärkung des Unternehmertums oder zur Modernisierung von Schlüsselindustrien – wie etwa im Bereich Aircraft – unterstützen das Investitionsklima nachhaltig. Auch der große Bedarf an Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen und der Ausbau der Infrastruktur (Olympische Winterspiele in Sotschi 2014, Fussball-WM 2018) bleiben wichtige Treiber für den deutsch-russischen Außenhandel. Die deutschen Banken sind darauf gut vor­bereitet und halten umfangreiche Kapazitäten für Absicherung und Finanzierung vor.

Kontakt: jochen.anton-boicuk[at]commerzbank.com

14 replies on “Herausforderungen für Exportgeschäfte in Russland”

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