Die libanesische Wirtschaft hat sich in den vergangenen Jahren trotz der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise gut entwickelt. Das politische Klima und die Sicherheitslage verbessern sich seit dem Abschluss des Doha-Abkommens 2008 stetig. Die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit nach den Parlamentswahlen 2009 erlaubte eine relativ stabile politische Situation, was das Vertrauen in die libanesische Wirtschaft stärkte.

Von Christoph Witte, Direktor Deutschland, Delcredere N.V.

Für das laufende Jahr sagt der IWF ein Wirtschaftswachstum von 8% voraus. Die Haupttreiber des Wachstums sind Bausektor, Tourismus, Einzelhandel und Finanzdienstleistungen. Stabile Deviseneinnahmen und Direktinvestitionen lassen Finanzierungslücken nicht entstehen, solange sich die politische Lage nicht verschlechtert. Reformbedarf besteht hinsichtlich der Modernisierung des Steuersystems und der öffentlichen Finanzverwaltung. Dadurch sollen die Ineffizienz bei den staatlichen Versorgungsunternehmen bekämpft und ein solider Rahmen für öffentlich-private Partnerschaften geschaffen werden. Um das Vertrauen zu erhalten und strukturelle Reformen durchsetzen zu können, ist Zusammenarbeit und Konsens zwischen den politischen Lagern dringend notwendig. Die Gefahr der inneren und äußeren Instabilität dauert jedoch an.

Die größte wirtschaftliche Herausforderung für den Libanon ist die Staatsverschuldung. Obwohl sie 2010 voraussichtlich von 148% (2009) auf 139% des Bruttoinlandsprodukts zurückgehen wird, bleibt die öffentliche Schuldenquote hoch. Für Zinszahlungen müssen mehr als 40% der gesamten Staatseinnahmen ausgegeben werden. Doch dank der Vermittlung einheimischer Banken ist es bislang nicht zu einem Vertrauensverlust gekommen. Der Bankensektor verzeichnet gute Ergebnisse, und die Dollarisierung der Spareinlagen ist trotz des politischen Stillstands und der Weltwirtschaftskrise zurückgegangen. Die Finanzierung der Staatsverschuldung wird im Grunde dadurch gesichert, dass im Ausland lebende Libanesen und langfristig orientierte Investoren aus den Golfstaaten Vertrauen in das libanesische Bankensystem haben.

Das innenpolitische Gleichgewicht zwischen den libanesischen Fraktionen, das nach der Bildung der Regierung der nationalen Einheit 2009 zustande kam, wird von den zunehmenden Spannungen wegen des „Sondertribunals für den ­Libanon“ gefährdet. Das Tribunal befasst sich mit der Aufklärung der Ermordung des früheren Ministerpräsidenten Rafiq Hariri.

Das Interesse von Saudi-Arabien und Syrien an regionaler Sicherheit scheint bei der Bewältigung innenpolitischer Spannungen zu helfen. Da das politische System des Libanon traditionell anfällig für ausländische Einflüsse ist, könnte die Wiederannäherung zwischen Saudi-Arabien und Syrien zur Aufrechterhaltung der Regierung der nationalen Einheit beitragen. Saudi-Arabien stützt traditionell den Hariri-Clan, wogegen Syrien die Hisbollah unterstützt. Beide Länder versuchen aktiv, die Spannungen im Libanon abzubauen, was mit dem Beirut-Besuch des syrischen Präsidenten und des saudi-arabischen Königs gezeigt werden sollte.

Es gibt Anzeichen dafür, dass sich die politischen Spannungen dieses Sommers negativ auf das Verbrauchervertrauen im Inland ausgewirkt haben. Zusammen mit einem weiteren Ausbleiben von Reformen der Wirtschaft könnte dies zu einer deutlichen Verringerung des BIP-Wachstums führen. Es ist deshalb überaus wichtig, dass sowohl innere als auch äußere Spannungen verringert werden, um die relative politische Sicherheit sowie die starke Wirtschaftsleistung der vergangenen Jahre aufrecht zu erhalten.

Kontakt: c.witte[at]delcredere.eu

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