China befindet sich im wirtschaftlichen Übergang; die Ära zweistelliger Wachstumsraten ist vorüber. Die Verschlechterung der ­makroökonomischen Indikatoren legt nahe, dass sich die strukturelle „sanfte Landung“ vertiefen könnte. China verfügt jedoch über robuste Fundamentaldaten und eine geringe Auslandsverschuldung, außerdem über umfangreiche Währungsreserven und eine hohe Sparquote, um widrigen Bedingungen standzuhalten.

Von Christoph Witte, Direktor Deutschland, Credimundi, Member of the Credendo Group

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Warnsignale dämpfen Ausblick

Die konjunkturellen Aussichten werden durch die Risiken einer Korrektur auf dem Immobilienmarkt, finanzielle Instabilität, ein umfangreiches Schattenbankensystem sowie eine erhebliche Gesamtverschuldung getrübt. Diese systemischen Faktoren sind eine schwere Bürde und dämpfen zwangsläufig das Wachstumspotential (auf unter 6,5%), insbesondere da die weiterhin bestehende industrielle Überproduktion und die schwächere Auslandsnachfrage die Deflation verstärken. Die Vertrauenskrise, die durch den Börsencrash und die überraschende Abwertung des Renminbi (CNY) im Sommer verschärft wurde, zeigt sich in zunehmenden Kapitalabflüssen, starkem Abwertungsdruck auf den Renminbi und einer untergrabenen Glaubwürdigkeit der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh).

Wir schätzen sowohl das kurzfristige als auch das mittel- bis langfristige politische Risiko weiterhin als gering ein, in Kategorie 1 bzw. 2 auf einer Skala von 1 bis 7. Die innenpolitische Stabilität unter der Herrschaft der KPCh ist ein risikominimierender Faktor, während Chinas nationalistische Außenpolitik wiederholt zu Spannungen um die umstrittenen Inseln im Südchinesischen Meer führt. Trotz des Widerstands vieler einflussreicher Interessenvertreter ist ein starker Präsident Xi Jinping zur Durchführung von Reformen entschlossen, besonders der anhaltenden, großen Antikorruptionskampagne, um die Legitimität der KPCh zu erhalten.

Obwohl die wirtschaftliche Liberalisierung und der Privatsektor weiter gefördert werden sollen, dürfte der Staat in wichtigen und strategischen Wirtschaftsbereichen weiterhin eine dominierende Rolle spielen. Das unsichere Rechtssystem und die geringe wirtschaftliche Dynamik beeinträchtigen das Geschäftsumfeld, was der wesentliche Faktor für das hohe wirtschaftliche Risiko Chinas ist (Kategorie C auf einer Skala von A bis C). Zahlungsrückstände und -ausfälle haben zugenommen und werden weiter steigen, insbesondere in Sektoren mit Überproduktion (z.B. Immobilienmarkt, Bergbau, Stahl), da die untragbare implizite Staatsgarantie nicht von Dauer sein dürfte.

Konjunktur braucht Stützung

Seit 2012 befindet sich die chinesische Volkswirtschaft nach Jahrzehnten mit zweistelligen Wachstumsraten in einem Umbau. Im kommenden Jahrzehnt werden sich der private Verbrauch und Dienstleistungen – die bereits den größten Anteil am BIP erwirtschaften – zu den wichtigsten Wachstumstreibern entwickeln, während die Investitionen langsam ihren untragbar hohen Anteil von über 45% des BIP verringern werden. Bis zum Ausgleich ist es noch ein langer Weg. Der Rückgang des Wirtschaftswachstums erregt daher zunehmend Besorgnis, nicht nur in China, sondern auch in vielen Schwellenländern, die von der sinkenden Nachfrage Chinas nach Rohstoffen betroffen sind. Die derzeitige Wachstumsschwäche könnte daher noch deutlicher ausfallen als das offiziell angegebene 25-Jahres-Tief von 6,9% im Jahr 2015. Eine Reihe von Indikatoren, von Bergbau und verarbeitender Industrie bis zu Handelsströmen, zeigt den niedrigsten Wert seit der Krise 2008/2009. Hinzu kommen ein starker Rückgang der Rohstoffpreise, ein knapperes Kreditangebot und Deflationsdruck. Diese Faktoren lassen tatsächlich tendenziell einen stärkeren BIP-Rückgang erwarten.

Entsprechend hat die chinesische Regierung eine Reihe von Maßnahmen zur Stimulierung der Wirtschaft ergriffen, um eine harte Landung zu vermeiden. Peking verfolgt eine akkommodierende Politik mit mehrfachen Senkungen der Zins- und Reservesätze auf der geldpolitischen Seite sowie einer starken Aufstockung der öffentlichen Ausgaben und Infrastruktur-investitionen der Zentralregierung (z.B. Transport, Energie, Wasser, erneuerbare Energien). Darüber hinaus hat China Mitte August 2015 überraschend den Renminbi (CNY) um 3% gegenüber dem US-Dollar abgewertet, um die chinesischen Exporte zu stützen, die von der schwachen Nachfrage aus den Industrieländern beeinträchtigt sind. Obwohl der Renminbi bereits unter Abwertungsdruck stand, bestätigt ein solcher Schritt die Bedenken bezüglich der schwachen Wirtschaftsdynamik und der Schwierigkeiten der Regierung, die Wirtschaft zu stabilisieren. De facto verlängert das Vorgehen den Übergangsprozess.

Der Renminbi ist nach einer langen Phase der stetigen Aufwertung keine sichere Wette mehr. Die chinesischen Behörden haben sich verpflichtet, den Marktkräften bei der Wechselkursfindung eine größere, wenn auch weiterhin gesteuerte, Rolle zu überlassen. Entsprechend wird der Renminbi im Kontext des aktuellen wirtschaftlichen Abschwungs weiter abwerten, wenn auch langsam. Voraussetzung ist, dass die Zentralbank weiterhin umfassend Währungsreserven verkauft, um den Wechselkurs und die Aktienmärkte zu stützen, eine Kapitalflucht zu bremsen und einen Währungskrieg mit den asiatischen Partnern zu vermeiden.

Krisenabwehr durch Devisenpolster

China verfügt noch über Spielraum zur Abwehr einer Wirtschaftskrise. Das Land besitzt die weltweit größten Währungsreserven (seit Sommer 2014 allerdings in einem konstanten Abwärtstrend) und weist eine positive Zahlungsbilanz mit einem permanenten Leistungsbilanzüberschuss (3% des BIP) auf. Dieser wird gestützt von geringeren Rohstoffimporten (China ist beispielsweise der weltweit größte Ölimporteur) und einem billigeren Renminbi, der den Export der Überschussproduktion aus Sektoren mit Überkapazitäten fördert.

Jedoch verschlechtert sich die Kapitalbilanz Chinas rapide durch die Kapitalflucht internationaler Banken und chinesische Konzerne, die ihre auf US-Dollar lautenden Schulden tilgen aufgrund des Abwärtstrends des Renminbi und der wirtschaftlichen Unsicherheit. Auch die FDI-Abflüsse aus China sind erheblich und dürften bald die Zuflüsse überwiegen. Hierzu trägt auch die globale Expansion chinesischer Staatsunternehmen bei. Beispiele sind riesige Infrastrukturprojekte, insbesondere der langfristig vorgesehene Ausbau des „Silk Road Economic Belt” (Landverbindung zwischen China und Europa).

Hohe Verschuldung belastet

Sorge bereitet den chinesischen Behörden vor allem die hohe Gesamtverschuldung des Landes, die die Wachstumsperspektiven trübt. Der Schuldenstand ist seit 2008 von 150% des BIP bis heute auf 250% des BIP explodiert. Insbesondere Immobilienunternehmen, Staatsunternehmen in Sektoren mit Überkapazitäten sowie Kommunalregierungen haben sich hoch verschuldet. Konjunkturmaßnahmen sind daher nur begrenzt wirksam, solange die wirtschaftlichen Exzesse nicht strukturell bekämpft werden. Da die Verschuldung weitgehend intern und vom öffentlichen Sektor getragen ist und China über eine starke außenwirtschaftliche Position verfügt, ist das Risiko einer Schuldenkrise gering. Dennoch steigen die Ausfallrisiken, und langfristig besteht die Gefahr, dass die Schuldenspirale sich fortsetzt, das heißt neue Schulden überwiegend für die Tilgung bestehender Kredite aufgenommen werden.

Peking hat Finanzreformen eingeleitet, um die hohe kommunale Verschuldung in den Griff zu bekommen, die den größten Anteil an der Staatsverschuldung ausmacht (rund 40% des BIP), er ist weit höher als der Anteil der Zentralregierung (16,8%). Angesichts sinkender Landverkäufe und damit verbundener geringerer Einnahmen wurde Kommunalregierungen die Ausgabe von Anleihen genehmigt (durch eine Gesetzesänderung ist die Rettung durch den Staat theoretisch nicht mehr implizit gegeben). Diese können daher von umfangreichen Schuldenumwandlungen in langfristige, niedrig verzinste Anleihen profitieren.

Restrukturierung der lokalen Verschuldung ist gleichzusetzen mit einer Rettung durch die großen staatlichen Banken (SOCB). Zugleich wird die Rolle dieser „Policy Banks“ in der schwächelnden chinesischen Volkswirtschaft angesichts einer nachlassenden Kreditnachfrage der Unternehmen (die Schulden abbauen) und Kommunalregierungen (die auch von der Antikorruptionskampagne betroffen sind) bei Investitionen in kommunale Infrastrukturprojekte (z.B. Wohnungsbau) und der Wachstumsförderung gestärkt.
Die ausführliche Länderstudie China mit zusätzlichen Grafiken steht zum kostenlosen Download unter www.credimundi.de (http://riskreporter.credendogroup.com/de/risk-assessment/eine-sanfte-landung-auf-dem-weg-zu-einem-neuen-okonomischen-modell/) bereit.

Kontakt: c.witte@credendogroup.com

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