Die Aussichten für Brasiliens Wirtschaft sind positiv, doch es lasten einige Risikofaktoren auf ihr, die Unternehmen beachten sollten. Steigende Inflationsraten, der angespannte Arbeitsmarkt und das zunehmende Leistungsbilanzdefizit sind Warnsignale für eine konjunkturelle Überhitzung. Doch angesichts der bislang effizienten Umsetzung der stabilitätsorientierten Wirtschaftspolitik und der hohen Währungsreserven dürfte der wirtschaftliche Anpassungsprozess relativ reibungslos verlaufen.

Von Christoph Witte, Direktor Deutschland, Delcredere N.V.

Am 1. Januar 2011 wurde Dilma Rousseff als Präsidentin Brasiliens vereidigt. Sie hat viele Jahre als Ministerin im Kabinett des ehemaligen Präsidenten Lula gedient und genießt den Ruf einer geradlinigen und fähigen Technokratin. Es wird erwartet, dass sie in ihrer Amtszeit die stabilitätsorientierte Wirtschaftspolitik der Vorgängerregierung fortführen wird. Bereits in den ersten sechs Monaten ihrer Amtszeit wurden die Mindestlöhne nur geringfügig angehoben und Budgetkürzungen für dieses Jahr angekündigt. Rousseff geht konsequent gegen Korruption in der Regierung vor, was nicht zu ihrer Beliebtheit im Parlament beiträgt. Ihr Stabschef und wichtigster Berater, Antonio Palocci, musste sein Amt nach Korruptionsvorwürfen niederlegen. Das Amt übernahm Transportminister Alfredo Nascimento. Rousseff scheut sich auch nicht vor Staatseingriffen in die Wirtschaft. So bestimmte ihre Regierung einen neuen Geschäftsführer für den Bergbaukonzern VALE, und der Einfluss der staatlichen Entwicklungsbank (BNDES) wurde gestärkt. Ob Rousseff die nötigen Strukturreformen der Steuer-, Bildungs- und Sozialsysteme sowie des Arbeitsmarktes durchsetzen kann, wird von ihrer Fähigkeit abhängen, den Kongress zu kontrollieren.

Die kräftige Inlandsnachfrage, hohe Rohstoffpreise und die guten Finanzierungsbedingungen führten zu einer schnellen Erholung der brasilianischen Wirtschaft von der Finanz- und Wirtschaftskrise und sogar zu einem Rekordwirtschaftswachstum von 7,5% im Jahr 2010. Wegen deutlicher Überhitzungstendenzen, erkennbar an der steigenden Inflation, der angespannten Arbeitsmarktsituation und dem steigenden Leistungsbilanzdefizit, reagierte die Zentralbank 2010 sehr schnell mit Leitzinserhöhungen. Der Leitzinssatz Selic erreichte mit 12,5% einen im internationalen Vergleich sehr hohen Wert. Die Regierung reagierte deutlich später und fährt gegenwärtig die öffentlichen Ausgaben zurück. Die höheren Leitzinsen und die Sparmaßnahmen führen bereits zu einer Verlangsamung der Wachstumsdynamik. Die Wachstumssaussichten sind aber nach wie vor gut, vor allem auch aufgrund der Notwendigkeit des Infrastrukturausbaus wegen der in Brasilien stattfindenden Fußballweltmeisterschaft 2014 und der Olympischen Spiele 2016. Zudem hat die Zentralbank Anfang September die Leitzinsen wieder um 0,5 Prozentpunkte gesenkt.

Das Kreditvolumen stieg in den letzten Jahren rasant an, mit ein Grund für die schnelle wirtschaftliche Erholung des Landes. Als die Privatfinanzierungen Mitte 2008 weitgehend zusammenbrachen, wurden verstärkt öffentliche Kredite gewährt, um den Rückgang der Privatkredite zu kompensieren. Seit Mitte 2010 steigt das Volumen privater Kredite wieder stark an. Die Zentralbank hat versucht, diese Kreditausweitung durch die Erhöhung der Leitzinsen und der Mindestreserveanforderungen zu bremsen. Doch die Kreditvergabe der Banken an den Privatsektor ist hoch geblieben. Der Kreditboom wird hauptsächlich durch inländische Kapitalgeber finanziert. Ausländische Kredite nehmen zwar zu, machen aber nur einen kleinen Anteil (weniger als 3% im Februar 2011) aus. Auch wenn die notleidenden Kredite zunehmen, ist die Lage der großen brasilianischen Banken unter Kontrolle, ihre Indikatoren für finanzielle Stabilität sind gut. Das gilt aber nicht für kleinere Banken des Landes. Der Banco Panamericano musste im November 2010 gerettet werden. Ein ähnliches Schicksal erfuhren etwas später der Banco Schahin und der Banco Morada.

Die Überhitzung zeigt sich auch im anhaltenden Wachstum des Leistungsbilanzdefizits. Die Importe nehmen, angetrieben von der großen Inlandsnachfrage und dem notwendigen Ausbau der Infrastruktur, stärker zu als die Exporte. Ausländische Direktinvestitionen (FDI) und Portfoliozuflüsse gleichen zwar das Leistungsbilanzdefizit im Moment vollständig aus, doch es gibt einen anderen Trend, der mit Sorge beobachtet wird: Der Anteil der Industrieprodukte am Export nimmt zugunsten des Anteils der Rohstoffe ab. Vor allem Chinas gestiegene Nachfrage nach Eisenerz und Sojabohnen treibt diese Entwicklung an. China ersetzt seit 2009 die USA als Hauptabnehmer brasilianischer Exporte. Die Gewichtsverschiebung zu Lasten der Industriegüterexporte ist zum Teil auch eine Folge des „Währungskriegs“, wie dieser Prozess von der Regierung genannt wird. Der brasilianische Real hat seit 2008 stark aufgewertet, was die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der Exporte verschlechterte. Auf der anderen Seite spiegelt eine starke Währung auch den Einfluss Brasiliens auf die Weltwirtschaft und die große Anziehungskraft wider, die die Währung wegen der guten Kapitalverzinsung und der Wachstumsaussichten ausübt.

Trotz des Kreditbooms und des wachsenden Leistungsbilanzdefizits wird das mittel- und langfristige politische Risiko Brasiliens als stabil eingeschätzt. Die ungünstigen Faktoren werden durch die effiziente Umsetzung der stabilitätsorientierten Wirtschaftspolitik und die hohen Währungsreserven mehr als ausgeglichen. Auch die Auslandsverschuldung bleibt auf moderatem Niveau. Sie war bis 2008 zurückgegangen, steigt aber seitdem durch die notwendige Infrastrukturentwicklung und die Schuldenaufnahme im Privatsektor wieder langsam an.

Kontakt: c.witte[at]delcredere.eu

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