Im ehemaligen Boomland hält der Negativtrend unverändert an. Bereits 2011 begann mit dem Abflauen des Rohstoffbooms der ­Abschwung der brasilianischen Wirtschaft. Dann folgten eine Vertrauenskrise hinsichtlich des wirtschaftspolitischen Kurses und schließlich eine schwere politische Krise. Auch nach dem jüngsten Machtwechsel dürften die politischen Turbulenzen noch nicht be-endet sein. Fraglich ist, ob es Staatspräsident Michel Temer gelingen wird, die brasilianische Wirtschaft aus der Rezession zu führen.

Christoph Witte, Direktor Deutschland, Credimundi, Member of the Credendo Group

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Mit dem Abschwung der Wirtschaft sank die Unterstützung für die gemäßigt linke Arbeiterpartei PT. Im Vorfeld der großen Sportereignisse (FIFA Weltmeisterschaft 2014 und Olympische Spiele 2016) demonstrierten Millionen von Menschen in zahlreichen brasilianischen Städten nicht nur gegen die enormen Kosten, die die Austragung der Sportereignisse verursachten, sondern auch gegen die steigende Inflation, die grassierende Korruption, hohe Steuern und die schlechte Qualität der öffentlichen Versorgung. Der knappe Wahl­ausgang für Dilma Rousseff bei der Präsidentschaftswahl 2014 offenbarte eine tiefe Spaltung der öffentlichen Meinung entlang der sozioökonomischen Bruch­linien.

Kurz nach der Wahl weitete sich der Korruptionsskandal um den staatlichen Erdölkonzern Petrobras immer weiter aus, und die wirtschaftliche Lage verschlechterte sich zusehends. In der Folge sanken Rousseffs Umfragewerte auf ein Rekordtief. Ihre Position als Präsidentin wurde unhaltbar, als die vermeintliche Verwicklung ihres Mentors Lula da Silva in den Petrobras-Skandal die Partei der Demokratischen Bewegung Brasiliens (PMDB) – die größte Fraktion im Kongress und wichtigster Partner der PT – im März 2016 dazu zwang, sich aus der Regierungskoalition zurückzuziehen. Ein umstrittenes Amtsenthebungsverfahren gegen die Präsidentin wegen des Verstoßes gegen Haushaltsregeln erhielt hierdurch breite Unterstützung. In der Folge wurde Roussef im Mai 2016 vom Amt suspendiert und im August 2016 endgültig abgesetzt.

Politische Turbulenzen nicht beendet

Vizepräsident Michel Temer, der bereits den Posten des Regierungschefs übernahm, während der Senat noch die Vorwürfe gegen Rousseff prüfte, wird nun bis zur nächsten Wahl im Jahr 2018 das Präsidentenamt bekleiden. Nach dem Bruch zwischen der PMDB und Rousseffs PT hat Temer eine geschäftsführende Regierung eingesetzt, die eine wirtschaftsfreundliche Politik verfolgt und die Unterstützung diverser ehemaliger Oppositionsparteien sowie des Privatsektors genießt.

Doch auch wenn die Märkte anfänglich eine positive Reaktion auf die neue Regierung zeigten, ist diese ausgesprochen ­fragil. Zum einen prüft das Wahlgericht derzeit noch Vorwürfe, Rousseff und Temer hätten zur Finanzierung ihres Wahlkampfes 2014 Mittel verwendet, die aus Korruption stammten. Die Ergebnisse dieser Untersuchung werden möglicherweise erst 2017 vorliegen. Sie könnten dazu führen, dass Temer des Präsidentenamtes enthoben wird. Zum anderen dürfte es zunehmend schwierig werden, die für die Verabschiedung von Sparmaßnahmen notwendige Kongressmehrheit zu sichern. Die Wahlen rücken näher, und die Unzufriedenheit in der Bevölkerung steigt. Brasilien dürfte auf absehbare Zeit unter zerrütteten politischen Verhältnissen leiden. Die für die Wiederherstellung des Anlegervertrauens und die Lösung der wirtschaftlichen Probleme so dringend notwendigen politischen Maßnahmen werden voraussichtlich weiterhin ausbleiben.

Rezession und Inflation

Der brasilianische Wirtschaftsboom wurde durch die schwache Auslandsnachfrage 2011 beendet. Trotz akkommodierender Geld- und Finanzpolitik blieb die Erholung aus; die Lage verschlechterte sich durch interne Probleme. Das reale BIP-Wachstum schwächte sich zwischen 2010 und 2012 von 7,5% auf 1,9% ab. 2014 kam es praktisch zu einer Stagnation. 2015 schrumpfte das reale BIP um 3,8%. Infolge zunehmender Arbeitslosigkeit, enttäuschender Lohnerhöhungen, eines hohen Verschuldungsgrads der Haushalte sowie steigender Zinssätze ließen die Konsumausgaben, die während der Boomjahre einen wichtigen Wachstumsmotor darstellten, deutlich nach.

Trotz rückläufiger Konsumausgaben und einer Straffung der Geldpolitik stieg die Inflation 2015 auf 10,7%, den höchsten Wert seit 2003. Ursachen hierfür waren die längst überfällige Erhöhung der regulierten Preise für Kraftstoff, Strom etc. sowie die erhebliche Abwertung des Real, die zu einer Verteuerung der Importe führte. Die Zentralbank hat seit März 2013 den Leitzins von 7,25% auf 14,25% erhöht. Hiermit signalisierte sie stets, dass sie an einer stabilitätsorientierten Geldpolitik mit flexiblem Wechselkurs und Inflationssteuerung festhält. Es wird erwartet, dass die Inflation in diesem Jahr auf 7,1% und 2017 auf 6,0% zurückgehen wird.

Finanzprobleme verschärfen sich

Im Gegensatz zur Geldpolitik war die Finanzpolitik bis vor kurzem noch akkommodierend. Die Ziele, die im Gesetz zur Fiskalverantwortung („Lei de Responsabilidade Fiscal“) dargelegt sind, wurden verfehlt. Dies schwächte das Vertrauen in die Wirtschaft zusätzlich, weil eine wichtige Säule der Stabilitätspolitik weggefallen war. Der Primärsaldo des Staatshaushalts wechselte das Vorzeichen: Nach einem Überschuss von 2,9% des BIP im Jahr 2011 rutschte der Haushalt 2015 in die roten Zahlen und wies ein Defizit von 1,9% auf. Die Staatsverschuldung erhöhte sich im selben Zeitraum von ca. 61% auf 74% des BIP (allerdings kommt der externen Zahlungsfähigkeit zugute, dass es sich hierbei zu 80% um Inlandsschulden handelt). Die schlechte öffentliche Finanzlage offenbart sich auch auf den unteren Verwaltungsebenen. Ein Beispiel ist der Bundesstaat Rio de Janeiro, wo der amtierende Gouverneur kürzlich den finanziellen Notstand ausrief. Viele Bundesstaaten fordern einen Erlass ihrer Schulden gegenüber der Zentralregierung, was angesichts der angeschlagenen Finanzlage der Zentralregierung schwierig zu verhandeln ist.

Wird die Vertrauenskrise überwunden?

Die Regierung von Präsident Temer fokussiert sich auf die Wiederherstellung der politischen Glaubwürdigkeit. Mit der Ernennung des neuen Zentralbankpräsidenten und der Ausweitung der Unabhängigkeit dieser Institution bekräftigte sie ihr Bekenntnis zur Inflationssteuerung. Im Bereich der Finanzpolitik werden begrüßenswerte Konsolidierungsanstrengungen unternommen. Insbesondere der neue Finanzminister verfolgt das ehrgeizige Ziel, sowohl das großzügige Rentensystem als auch die Regeln zur Indexierung staatlicher Ausgaben zu reformieren. Allerdings erfordert die Verabschiedung der entsprechenden Gesetze eine Parlamentsmehrheit von 60%. So bleibt abzuwarten, ob diese Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden können. Auf jeden Fall ist mit Sparprogrammen zu rechnen, was zwar die mittelfristigen Perspektiven verbessern, aber den kurzfristigen wirtschaftlichen Abschwung noch verschärfen dürfte. Obwohl die prozyklische Politik die Konjunktur weiter belastet, haben die brasilianischen Behörden kaum eine andere Wahl. Denn eine weitere Verschlechterung der öffentlichen Finanzlage würde den Zugang zu den internationalen Finanzmärkten einschränken. Das kann sich das Land nicht erlauben.

Trübe Prognosen

Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet für 2016 mit einem weiteren Rezessionsjahr; das BIP dürfte erneut um 3,3% schrumpfen. Für 2017 erwartet er eine allmähliche Erholung mit einem BIP-Zuwachs von 0,5%. Doch auch diese magere Wachstumsprognose ist extrem unsicher. So sind die erfolgreiche Umsetzung der Strukturreformen, die Wiederherstellung des Vertrauens der privaten Haushalte und Investoren sowie die positive Entwicklung des Wechselkurses, der Rohstoffpreise und der externen Finanzierungsbedingungen mit großen Fragezeichen versehen. Darüber hinaus könnten sich die Auswirkungen des Petrobras-Skandals im Verlauf der Untersuchungen weiter verschärfen. Schon jetzt muss der Erdölkonzern die Einschränkung seines Zugangs zu den Finanzmärkten hinnehmen, was ihn zu einer erheblichen Investitionsdrosselung und Veräußerung ausländischer Vermögenswerte gezwungen hat. Die Inlandsinvestitionen gehen hierdurch zusätzlich zurück.

Mehr Wettbewerbsfähigkeit durch Währungsabwertung

Der wirtschaftliche Abschwung hat negative Folgen für Brasiliens außenwirtschaftliche Position. Die Leistungsbilanz ist seit 2008 negativ, und das Defizit hat sich seitdem erheblich erhöht. 2009 wurde es auf 1,6% des BIP beziffert. 2014 war es bereits auf 4,3% gestiegen. Hierfür sorgten die hohe Importnachfrage nach Konsumgütern, die verhaltene Auslandsnachfrage und die ungünstigen Handelsbedingungen mit niedrigen Rohstoffpreisen sowie die schlechte internationale Wettbewerbsfähigkeit. Seit 2015 ist das Leistungsbilanzdefizit wieder rückläufig; 2016 dürfte es auf 2% und 2018 auf 1% des BIP zurückgehen. Der schwächere Wechselkurs begünstigt den Export. Zudem profitiert Brasilien von einer verbesserten Erdölbilanz durch die Erweiterung der Förderung auf den „Pre-Salt“-Feldern und eine höhere Raffineriekapazität.

Maßnahmen zur Beseitigung der strukturellen Wettbewerbshemmnisse stehen jedoch weiterhin auf der Agenda. Die sogenannten brasilianische Kosten (Custo Brasil) für mangelhafte Infrastruktur, hohen Bürokratieaufwand, ein undurchsichtiges Steuersystem, unzureichenden Zugang zu Krediten sowie hohe Lohnstückkosten schwächen die internationale Konkurrenzfähigkeit. Waren 2006 noch über 70% der Warenexporte Fertigwaren, so lag dieser Anteil 2015 lediglich noch bei 50%. Die Diversifizierung ist somit gesunken, während die Rohstoffabhängigkeit gestiegen ist.

Robuste Kapitalzuflüsse

Trotz wirtschaftlicher Schwierigkeiten sind die Kapitalzuflüsse nach Brasilien noch immer robust: Die Zuflüsse an Nettodirektinvestitionen liegen seit 2012 bei durchschnittlich 3% des BIP (2015 deckten sie sogar das gesamte Leistungsbilanzdefizit). Dank höherer Zinssätze der Zentralbank und des Endes der Besteuerung von Kapitalzuflüssen erholten sich auch die Portfolioinvestitionen von ihrem Tiefstand im Jahr 2012. Gleichwohl waren die Wechselkursschwankungen des Real im Vergleich zu anderen Schwellenländerwährungen besonders groß. Seit dem Erreichen seiner Höchstmarke im Juli 2011 hat vder Real gegenüber dem US-Dollar etwa die Hälfte seines Wertes verloren.

Trotz der klaren Vorteile, die solch eine hohe Währungsabwertung für die internationale Wettbewerbsfähigkeit hat, haben Befürchtungen hinsichtlich import-bedingter Inflation die Behörden zur Stützung des Real gezwungen.

Steigende Auslandsverschuldung, aber gute Liquidität

Zwei Rezessionen, schwache Exportergebnisse sowie die stark gestiegene ­Verschuldung im Privatsektor haben die Auslandsverschuldung deutlich in die Höhe getrieben. Ende 2015 erreichte sie ein extrem hohes Niveau von 280% der Leistungsbilanzeinnahmen (nahezu 38% des BIP). Da die Leistungsbilanz defizitär bleiben dürfte, wird erwartet, dass die Auslandsverschuldung bis zum Ende ­dieses Jahres nahezu 300% der Leistungsbilanzeinnahmen betragen wird. Auch die Schuldendienstverpflichtungen der Unternehmen gegenüber dem Ausland sind spürbar gestiegen (2015: 49% der Leistungsbilanzeinnahmen). Dies bedeutet ein erhebliches Risiko.

Allerdings verfügt Brasilien nach wie vor über hohe Fremdwährungsbestände. Diese liegen immer noch bei 52% der gesamten Auslandsverschuldung und betragen das 4,5fache der kurzfristigen Verschuldung sowie mehr als das Dreifache der jährlichen Schuldendienstverpflichtung.

Weitere Länderberichte und aktuelle Risikobewertungen von Credimundi finden Sie unter www.credimundi.de.

Kontakt: c.witte@credendogroup.com

 

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