Im Dezember 2013 hat das Landgericht München ein bahnbrechendes Urteil zum Antikorruptionsrecht bzgl. der Bestechungs­zahlungen der Siemens AG ausgesprochen: Danach hatte ein Vorstandsmitglied 15 Mio EUR Schadensersatz für fehlende ­Organisation und Beaufsichtigung im Hinblick auf Korruptionsverbote zu zahlen. Welche Anforderungen ergeben sich daraus für die deutsche (Export-)Wirtschaft?

Von PD Dr. Harald Hohmann, Rechtsanwalt, Hohmann Rechtsanwälte

Ausgangsfall

Mitarbeiter der Exportfirma D in Deutschland möchten Angestellte der Vergabefirma V (in Deutschland bzw. im Ausland) – also einer Firma, die viele Aufträge vergibt – mit folgenden Vorteilen beglücken, um einen Auftrag von der V zu erhalten: Ein­ladungen in ein Sterne-Restaurant oder Freikarten für die VIP-Loge bei Fußballspielen von Bayern München und/oder Bezahlung von Betriebsfeiern der V bzw. von Fahrten der V. Ist dies bereits Bestechung im geschäftlichen Verkehr nach § 299 StGB? Falls ja, welche Risiken drohen hier? Und was müsste die D unternehmen, um diese Risiken in Zukunft zu vermeiden?

Lösung des Ausgangsfalls

Nach § 299 Abs. 2 StGB ist es verboten, „im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs einem Angestellten eines geschäftlichen Betriebs einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür zu gewähren, dass er ihn oder einen anderen beim Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen in unlauterer Weise bevorzugt“. Dabei ist es unerheblich, ob der bestochene Betrieb seine Niederlassung in Deutschland oder im Ausland hat.

Das wesentliche Tatbestandsmerkmal ist hierbei die Vorteilsgewährung, verbunden mit der Unrechtsvereinbarung, dass dieser Vorteil für eine künftige wettbewerbswidrige Bevorzugung gewährt wird. Unstreitig würde die V „Vorteile“ erhalten, weil darunter alles verstanden wird, was die Lage des Empfängers V irgendwie verbessert, ohne dass die V hierauf Anspruch hat; hierzu gehören neben materiellen Vorteilen (Honorare, Rabatte, Darlehen, Einladung zu Reisen etc.) auch immaterielle Vorteile (Auszeichnungen, Ehrenämter etc.). Bei den hier vorgesehenen Einladungen geht es um materielle Vorteile.

„Unrechtsvereinbarung“?

Die zentrale Frage ist nun, ob diese geldwerten Vorteile als Gegenleistung für eine künftige unlautere, weil wettbewerbswidrige, Bevorzugung gewährt werden (= „Unrechtsvereinbarung“) oder ob es um im Wettbewerb noch sozial adäquate Zuwendungen geht, die noch als sozial übliche Akquisitions- bzw. Hospitality-Maßnahmen anzusehen sind. Je sozial unüblicher diese geldwerten Vorteile sind, desto eher wird angenommen, dass auf die Entscheidungsträger bei der V ein sehr hoher Druck ausgeübt werden soll, den nächsten Auftrag wegen der unüblich hohen Geschenke an die D zu vergeben, obwohl die V sonst andere Unternehmen (mit einer günstigeren Preisstruktur) bevorzugt hätte; dann läge eine wettbewerbswidrige Bevorzugung der D durch die V vor. Damit wird streitentscheidend, ob es sich hier um die Gewährung noch sozial üblicher Vorteile handelt oder nicht. Mangels einer Konkretisierung des Gesetzgebers wird der D nichts anderes übrigbleiben, als hierzu umfassend die deutsche Rechtsprechung zu analysieren, um diesbezüglich zu Schlussfolgerungen kommen zu können.

Konsens besteht bei Rechtsprechung und Literatur lediglich darin, dass hier mehr Spielraum als bei Vorteilsgewährungen an Amtsträger gelten soll. An Amtsträger werden in Deutschland häufig nur Ge-schenke im Wert von 5 bis 10 EUR, be-scheidene Weihnachtsgeschenke (bei besonderen Verdiensten) und evtl. Ein­ladungen in Mittelklasserestaurants (bei Vorstandsmitgliedern von Behörden/Sparkassen evtl. auch in einer etwas höheren Kategorie) akzeptiert. Einladungen von Amtsträgern zu Reisen sind in engen Grenzen allenfalls dann üblich, wenn sie Repräsentationszwecken dienen. Allein die USA haben hierzu Regulations vorgelegt, aus denen sich detailliert entnehmen lässt, welche Vorteilsgewährung an Amtsträger unter welchen Umständen als sozial üblich anzusehen ist, so dass hier der Bestechungsvorwurf entfällt.

Graubereiche bei der ­Privatwirtschaft

Im Bereich der Privatwirtschaft besteht hingegen ein hoher Graubereich, welche Vorteilsgewährung bereits als nicht mehr sozial akzeptabel angesehen werden kann und somit zum Gegenstand des Bestechungsvorwurfs wird. In der Literatur finden sich Vorschläge, hierfür Geschenke im Wert von bis zu 30 oder 50 EUR zu akzeptieren. Hierzu gehören auch – neben bescheidenen Weihnachtsgeschenken – Einladungen in ein Mittelklasserestaurant oder zu Veranstaltungen, wenn dies mit dem sozialen Status und den Repräsentationsaufgaben übereinstimmt (bei sehr hohem Status des Eingeladenen kann dies u.U. auch ein Feinschmeckerrestaurant sein). Darüber hinaus gehören dazu alle Vorteile, die allein der Schaffung eines guten Geschäftsklimas dienen, sofern der übliche Rahmen gewahrt wird. Demnach sind alle Einladungen, die weit über die Grenze von 50 (bis 100) EUR hinausgehen, sehr problematisch, sofern sich hierfür nicht eine spezielle Rechtfertigung (z.B. bei Einladungen zu Ereignissen, die der Außenwirkung des Eingeladenen oder der politisch-sozialen Bildung und nicht allein der Werbung für den Sponsor dienen) finden lässt.

Das „Siemens-Neubürger“-Urteil

Mit diesem Grundsatzurteil vom 10.12.2013 hat das LG München I festgestellt, dass das für Compliancefragen zuständige Vorstandsmitglied der Siemens AG nach § 93 Abs. 2 Aktiengesetz zur Schadensersatzzahlung von 15 Mio EUR verpflichtet ist, wenn es trotz der möglichen Kenntnis von schwarzen Kassen für Korruptionszahlungen nicht genügend für Organisation und Überwachung sorgt, um solche strafbaren Korruptionsmaßnahmen zu verhindern. Daraus leitete das Gericht folgerichtig ab, dass die Einrichtung eines funktionierenden Compliancesystems zur Gesamtverantwortung des Vorstandes gehört. Eine gleichartige Pflicht besteht auch für die Geschäftsführer einer GmbH nach § 43 Abs. 2 GmbH-Gesetz.

Ergebnis des Ausgangsfalls

Einladungen in Sterne-Restaurants be-deuten geldwerte Vorteile von meist mindestens 150–200 EUR (pro Person), VIP-Karten für Bayern-Spiele meist Vorteile von über 500 EUR, Sponsoring von Betriebsfeiern bzw. Reisen Vorteile von meist über 1.000 EUR. Im Zweifel ist jede dieser Einladungen – in jedem Fall aber eine Kumulation dieser Einladungen – nicht mehr sozial üblich, sofern nicht eine besondere Rechtfertigung hinzukommt. Dann hätten die Mitarbeiter der D die Straftat der Bestechung begangen. Nach § 299 StGB drohen hierfür in Deutschland hohe Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren sowie Vorteilsabschöpfungen etc. Dazu können unter bestimmten Voraussetzungen erhebliche Sanktionen nach ausländischen Gesetzen wie dem US Foreign Corrupt Practices Act (FCPA)/US Criminal Code oder dem UK Bribery Act kommen, die beide extraterritoriale Wirkungen entfalten. Um diese Risiken für die Zukunft auszuschließen, muss die D ein Compliancesystem – zumindest ein Guidance Document – verabschieden, in dem eindeutig geregelt wird, welche Vorteilsgewährungen an Amtsträger und an Personen in Unternehmen noch als sozial üblich angesehen werden, um das Risiko hoher Schadensersatzpflichten durch Vorstand oder Geschäftsführung auszuschließen. Gut wäre, wenn die D auch entsprechende Inhouse-Seminare regelmäßig durchführte, um die Anforderungen der praktischen Arbeit der D und ihrer internationalen Töchter zu verdeutlichen.

Resümee

Der deutsche Gesetzgeber sollte dringend ein umfassendes deutsches Antikorruptionsgesetz (vergleichbar etwa dem UK Bribery Act) verabschieden, statt diese Materie einer unübersichtlichen Vielzahl von Einzelregelungen zu überlassen. Diesem Gesetz sollte ein Anhang beigefügt werden, welche Vorteile an Amtsträger und an Personen der Privatwirtschaft noch als sozial üblich angesehen werden (entsprechend dem US-Vorbild). Dabei könnte zugleich verdeutlicht werden, dass Exportrecht und Antikorruptionsrecht eine Einheit darstellen – eine Erfahrung, die in den USA absoluten Konsens darstellt seit der Verabschiedung des FCPA, zurückgehend auf einen gleichzeitigen Export- und Korruptionsverstoß des britischen Rüstungskonzerns BAE Systems plc. Dies könnte dann auch dazu führen, dass der Exportkontrollbeauftragte (EKB) oder eine andere Person die Aufgaben des Antikorruptionsbeauftragten wahrnimmt. Ohne die Verabschiedung einer firmenbezogenen Organisationsanweisung oder Handlungsempfehlung wird die Umsetzung des Antikorruptionsrechts für die meisten deutschen Firmen nur schwer möglich sein – dies muss dringend gemacht werden, um hohe Risiken zu vermeiden.

Kontakt: info[at]hohmann-rechtsanwaelte.com

18 replies on “Antikorruptionsrecht als Complianceanforderung”

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