In einer intelligenten Automatisierung des dokumentären Geschäfts steckt großes Potential. Seine Komplexität muss dazu digital abgebildet werden. Der Siegeszug digitaler Lösungen ist nicht aufzuhalten, hieß es auf einer Veranstaltung zu aktuellen Entwicklungen im Akkreditivgeschäft, Effizienzgewinne und Nutzwert seien letztlich ausschlaggebend.

Der deutsche Außenhandel konnte seinen Höhenflug auch 2019 fortsetzen. Für die Abwicklung und Absicherung seiner Finanzierung bleibt das Dokumentenakkreditiv das dominierende Instrument. Doch die Digitalisierung schreitet voran.

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Das Jahr 2020 halte einige Heraus­forderungen für den deutschen Außenhandel bereit, erklärte Markus Becker-Melching auf der Seminarveranstaltung „Aktuelle Entwicklungen im Akkreditivgeschäft“ der ICC Germany und der ODDO BHF Aktiengesellschaft am 29. Januar 2020. Am 31. Januar endet die Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der EU, in den Vereinigten Staaten stehen am 3. November Präsidentschaftswahlen an, und der internationale Handel wird immer stärker politisiert.

Die neue EU-Kommission unter der deutschen Präsidentin Ursula von der Leyen will sich daher stärker in die geopolitischen Weichenstellungen einbringen. Eine wesentliche Aufgabe wird der Abschluss eines Handelsabkommens mit dem Vereinigten Königreich. Auch der Umgang mit den zunehmend als politisches Instrument eingesetzten Sanktionen der USA bleibt ein wichtiges Thema.

Handelsfinanzierung digital

Die zahlreichen Ansätze zur Digitalisierung der Handelsfinanzierung konnten das Dokumentenakkreditiv bislang nicht als dominierendes Instrument verdrängen. Aus Sicht von Tsafrir Attar, Vice President Digitization des Softwareanbieters Surecomp, ist der Siegeszug digitaler Lösungen jedoch nicht aufzuhalten. Deren Effizienzgewinne und Nutzwert seien letztlich ausschlaggebend.

Oliver Wieck, Generalsekretär der ICC Germany, untermalte die Zukunftsvision mit einigen Zahlen: 60% der Banken arbeiten an einer stärkeren Digitalisierung. Sie wird die Kosten für die Handelsfinanzierung in den kommenden drei bis fünf Jahren um 6 Mrd USD verringern. Die automatische Stellung eines Akkreditivs kann die Verarbeitungszeit um 60% reduzieren. Eine vollständige digitale Transformation würde die Umsätze um 10% erhöhen.

Er stellte die Schwerpunkte der ICC-Bankenkommission im Jahr 2020 vor. Dabei geht es zunächst um die „E-Kompatibilität“ der ICC-Regeln zur Handelsfinan­zierung, die Entwicklung von Mindeststandards für die digitale Konnektivität von Finanzdienstleistungen sowie die Untersuchung von rechtlichen und praktischen Fragen der digitalen Handelsfinanzierung. Die ICC hat zum 1. Juli 2019 bereits die Richtlinien für elektronische Dokumenten-Akkreditive (eERA/eUCP) aktualisiert und die ersten Richtlinien für elektronische Inkassi (eURC/eERI) in Kraft gesetzt.

Praktische Umsetzung

Prof. Christian Mehlich, Inhaber Christian Mehlich Consulting, beschrieb die Herangehensweise der Banken an die Digitalisierung. Die meisten Banken setzten auf mehrere Initiativen und schauten, welche sich am Markt durchsetze, zitierte er Daniel Schmand, den Vorsitzenden der ICC-Bankenkommission. Automatisierte Finanzierungen würden bislang nur angekündigt, und wenn einzelne Transaktionen durchgeführt würden, seien noch viele manuelle Schritte dabei.

Die großen Banken hätten vor allem die Prüfungen der Kunden (KYC) und die Verhinderung von Geldwäsche (AML) im Blick. Da menschlichen Prüfern dabei Fehler unterlaufen könnten und die Aufsichtsbehörden eine vollständige Dokumentation des Geschäfts verlangten, sei ein automatisiertes System zu empfehlen.

Zukunft des Dokumentengeschäfts

Mehlich blickte auf einige Entwicklungen, die in den Banken zukünftig Einzug halten dürften. So werde das Dokumentenmanagement digitalisiert, dabei hülfen die optische Zeichenerkennung und künstliche Intelligenz. Die Systeme würden zunehmend in den Workflow des Bankensystems integriert. Über Schnittstellen zu den Kundenanwendungen würden auch die von dort kommenden Dokumente mittels OCR erfasst. Auch zwischen den Banken nimmt die Digitalisierung Gestalt an. Blockchain und Smart Devices halten Einzug. Mehlich sieht darin zahlreiche Vorteile gegenüber dem traditionellen dokumentären Ablauf.

Ausgewählte Fallbeispiele

Ute Harders, Leitung Loan Products (Akkreditive u. Garantien) der ODDO BHF Aktiengesellschaft, stellte zum Abschluss des Seminars noch einige Fälle aus der Praxis vor. Vor allem die Anwendung der Akkreditivregeln sowie die neuesten Entwicklungen und Empfehlungen der ICC-Bankenkommission im Umgang mit den „Einheitlichen Richtlinien und Gebräuchen für Dokumenten-Akkreditive – ERA 600“ und der „International Standard Banking Practice – ISBP 745“ sind im Einzelfall entscheidend.

Zunächst ging es um die Frage, ob eine Rechnung, bei der der Aussteller nur durch einen chinesischen Stempel ausgewiesen ist, akkreditivkonform sei, wenn das Akkreditiv ausdrücklich verlange, dass alle Angaben in den Dokumenten auf Englisch sein müssten. Die Rechnung kann in diesem Fall zurückgewiesen werden. In einem anderen Fall war als Dokument eine Garantie gefordert, die von einer vietnamesischen Bank oder einer Bank mit einer Niederlassung in Vietnam ausgestellt sein sollte. Das war zwar der Fall, ging aber aus dem vorgelegten Dokument nicht hervor. Da die Art des vorzulegenden Dokuments nicht spezifiziert war, ist das Dokument akkreditivkonform. Anders wurde das Fehlen der Formulierung „as agent“  bei der Unterschrift in einem Konnossement bewertet. Die Unterschrift ist ohne diese Angabe nicht korrekt.

Es folgten noch zahlreiche weitere Fallbeschreibungen. Sie zeigten die Komplexität des dokumentären Geschäfts, das digital abgebildet werden müsste, machten jedoch auch deutlich, welches Potential in einer intelligenten Automatisierung dieser Prozesse stecke.

gunther.schilling@frankfurt-bm.com

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