Ägypten hat seit der Wahl von Präsident Abdel Fattah al-Sisi wieder an politischer Stabilität gewonnen. Die Regierung setzt auf Reformen, Entbürokratisierung und ausländische Investitionen und arbeitet an einem neuen Investitionsfördergesetz. Doch die ­Turbulenzen nach dem Arabischen Frühling haben das Image Ägyptens stark beschädigt. Die Lage ist besser als der Ruf, lautet die Einschätzung von Dr. Rainer Herret, der uns ein durchaus hoffnungsvolles Bild der aktuellen Entwicklung zeichnet.

Interview mit Dr. Reiner Herret, Geschäftsführer, AHK Ägypten

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Herr Dr. Herret, die Auslandshandelskammern (AHKn) der Region Mittlerer ­Osten/Nordafrika (MENA) haben zum Jahreswechsel 2014/2015 in Zusammenarbeit mit den lokalen IHKn eine Reihe von Außenwirtschaftstagen (Berlin, Karlsruhe, Düsseldorf, Darmstadt) organisiert. Was ist der Hintergrund für diese „Werbe­­-offensive“ für die MENA-Region?

Die Region kommt seit dem Arabischen Frühling nicht zur Ruhe, und nun kommen mit dem Islamischen Staat und Pegida noch Faktoren hinzu, die das Image Nordafrikas und des Nahen Ostens zusätzlich beschädigen. Nicht nur der besonders für Nordafrika wichtige Tourismussektor leidet. Insgesamt werden die Märkte der Region vernachlässigt, weil der fälschliche Eindruck entstanden ist, dass dort wirtschaftlich im Augenblick nichts zu holen ist und die Risiken – etwa für eine Geschäftsreise – zu groß wären.

Die MENA-Region ist aber ebenso divers und unterschiedlich wie Europa, und abgesehen von Libyen in Nordafrika, Syrien, dem Irak in der Levante und dem Jemen auf der Arabischen Halbinsel laufen Wirtschaft und Leben in den übrigen Staaten in geordneten Bahnen.

Sie leiten die AHK Ägypten in Kairo. Welche guten Nachrichten aus Ägypten haben Sie in Ihrem Gepäck für die Unternehmen in Deutschland mitgebracht?

Ägypten hat im vergangenen Jahr viel erreicht, um politische Stabilität wiederherzustellen, die Wirtschaft anzukurbeln und die Grundbedürfnisse seiner Menschen zu befriedigen. Weitreichende Reformen zum Abbau von Subventionen auf Energie, zur Konsolidierung des Staatshaushalts und zur Entbürokratisierung des geschäftlichen Umfelds unterstreichen die klare Absicht der Regierung, ein solides Fundament für Wachstum zu schaffen.

Mit der wiedergewonnenen politischen Stabilität ist auch das Vertrauen der Un-ternehmer wieder zurückgekehrt. Die starke politisch motivierte, finanzielle Un-terstützung durch die arabischen Golfstaaten hat maßgeblich dazu beigetragen, den wirtschaftlichen Tiefpunkt zu überwinden und die Konjunktur wieder anzukurbeln.

Deutsche Exporteure sehen dies bereits in ihren Auftragsbüchern, und man darf davon ausgehen, dass dieser positive Trend nun auch belastbar anhält, obwohl natürlich noch viele Herausforderungen zu meistern sind.

Die Regierung von Präsident Abdel Fattah al-Sisi setzt auf ausländische Investitionen, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, und arbeitet hierfür an einem neuen Investitionsfördergesetz. Was ist geplant, und wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten dieser Strategie ein?

Ägypten hat sich erst seit der Jahrtausendwende für ausländischen Investitionen geöffnet. Die rechtlichen Rahmenbedingungen als solche waren und sind gar nicht schlecht, aber die wuchernde Bürokratie macht viele gute Ansätze zunichte, und hoffnungsvolle Projekte werden oft im Keim erstickt. Hier setzt nun das neue Investitionsgesetz an. Die Genehmigungsverfahren sollen entschlackt und gestrafft werden. Neue Industriezonen werden ausgewiesen, um dem bestehenden Flächenengpass zu begegnen, und wir erwarten auch eine gezielte Förderung für Regionen des Landes, in denen bislang Defizite bei der industriellen Entwicklung bestehen.

Zu den Zielbranchen des neuen Investitionsprogramms zählen Öl und Gas, Energie, Wohnungsbau, Transport und Logistik, Bergbau, Tourismus, Informationstechnologie, Telekommunikation, Industrie und Landwirtschaft.

Die ägyptische Regierung wird auf der Egyptian Economic Development Con-ference im März (vom 13.3. bis 15.3. in Sharm el-Sheikh) ihre gesamtwirtschaftliche Zukunftsplanung vorstellen. Aktionspläne für die obengenannten Wirtschaftssektoren und konkret in der Umsetzung begriffene Initiativen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen werden präsentiert.

Wie bewerten Sie das Verhalten der deutschen Unternehmen zurzeit in Ägypten? Bleiben diese zurückhaltend, oder haben sie wieder Mut gefasst und kehren in das Land zurück? Können Sie feststellen, dass deutsche Unternehmen zurückhaltender als Investoren anderer Länder sind?

Unsere Unternehmen haben das Land nie verlassen. In der schwachen Konjunk-turphase haben sie sich konsolidiert, aber nie daran gedacht, die Präsenz aufzugeben. Wenn unsere Unternehmen manchmal als zu vorsichtig dargestellt werden, was ihre investive Begeisterung anbelangt, so sollte man nicht vergessen, dass wir so Exportweltmeister geworden sind. Die globalen Multinationals aus Deutsch-land sind seit vielen Jahren in Ägypten präsent. Für KMU erscheint derzeit vor allem der boomende deutsche Markt interessant, und man sieht generell nicht unbedingt Gründe, den Schritt ins außereuropäische Ausland zu wagen. Gleichwohl kommen derzeit wieder die ersten Interessenten, die sich bei erneuerbaren Energien (Solar und Wind) engagieren möchten.

In welchen Branchen sehen Sie derzeit die besten Geschäftschancen für deutsche Unternehmen?

Nach dem Inkrafttreten des Einspeisegesetzes zählt der Bereich Solar- und Windenergie klar zu den Wachstumsbranchen. Erfolgversprechend sind aber auch traditionelle Sektoren wie Chemie und Maschinenbau, Nahrungsmittelbe- und -verarbeitung, Medizintechnik, Sicherheitstechnik, Wasserwirtschaft, der Bausektor und innovative Branchen wie Informationstechnologie. Im Dienstleistungsbereich natürlich der Tourismus und auf jeden Fall in den nächsten Jahren die Weiterbildung.

Präsident al-Sisi hat Ordnung und Stabilität in das Land zurückgebracht, doch es häufen sich die Meldungen über die Unterdrückung der Presse und der Opposition. Droht eine neue Destabilisierung im Land?

Ich mag die manchmal geäußerte Mahnung hinsichtlich einer neuen Destabilisierung im Hinblick auf die tatsächliche Lage vor Ort nicht teilen. Die andauernden Anschläge des Islamischen Staates auf Armeeeinrichtungen und auf die Polizei haben aber eine extrem hohe Sensibilität in Fragen der nationalen Sicherheit ausgelöst. Dies artet sicherlich in einigen Fällen in Maßnahmen aus, die aus Überempfindlichkeit dann überproportionale Reaktionen sind. Dies muss man kritisieren, und auch der Präsident räumt dies offen ein, verweist aber auf den aktuellen Notstand und darauf, dass sich das Land im Krieg gegen den Terror befindet und sich keine Schwächung leisten kann. Dazu werden auch Antiregierungspropaganda und Blockaden von Straßen und öffentlichen oder privaten Einrichtungen durch Demonstranten gezählt. Das kann man kritisieren, sollte aber auch realistisch berücksichtigen, dass Ägypten zu einer völlig anderen Kultur gehört und sich nach drei Jahren der Instabilität nun wieder um die Rückkehr zur Normalität bemüht. Man sollte deshalb die Messlatte nicht zu hoch legen, muss aber gleichwohl beobachten, ob dies ein vorübergehender Zustand ist oder sich dauerhaft etabliert.

Wie würden Sie die aktuelle Sicherheitslage für Mitarbeiter deutscher Institutionen in Ägypten beschreiben?

Die Deutschen in Ägypten sehen die Lage mit Gelassenheit. Wir werden durch Mitteilungen der Botschaft regelmäßig zum Stand der Dinge informiert und vor möglichen akuten Risiken gewarnt. ­Natürlich meidet man das Grenzgebiet zu Libyen und den Norden des Sinai, aber ansonsten geht das Leben seinen gewohnten Gang. Die Regale der Supermärkte sind gut gefüllt – und die größte Herausforderung ist das Finden eines Parkplatzes in der 25-Millionen-Metropole Kairo.

Kontakt: rainer.herret[at]ahk-mena.com

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