Ägypten hat traditionell einen erheblichen Einfluss in der arabischen Welt, und aus diesem Grund nahmen nach dem Sturz von ­Präsident Mubarak in der gesamten Region die Proteste der Regimegegner zu. Nun steht das Land vor einem schwierigen Systemwechsel, der die wirtschaftliche Stabilität weiter beeinträchtigt. Insbesondere der Staatshaushalt bleibt ein Risiko, da das Land ohne multilaterale Kredite auskommen will.

Von Christoph Witte, Direktor Deutschland, Delcredere N.V.

Ein erfolgreicher Übergang zur Demokratie in Ägypten könnte die Verfechter des politischen Wandels in der Region und darüber hinaus stark unterstützen. Es ist aber überaus wichtig, dass das Land eine Reihe von schwierigen politischen und sozioökonomischen Hürden überwindet, bevor es eine erfolgreiche Demokratie schafft. Die Übergangsregierung wurde eingesetzt vom Militärrat, der nach der Revolution in Kairo und der Vertreibung Mubaraks die Macht übernahm. Sie hat die schwierige Aufgabe, einerseits den Übergang zur Demokratie zu gestalten und andererseits die wirtschaftliche und soziale Stabilität wiederherzustellen und die dringendsten sozioökonomischen Missstände zu bekämpfen.

In den Wochen vor und nach dem Sturz von Präsident Mubarak war die ägyptische Wirtschaft zeitweise wie gelähmt, aufgrund von Streiks, Straßensperren, geschlossenen Banken und Unternehmen und Sicherheitsproblemen. Da die Einnahmen aus dem Tourismus etwa ein Fünftel der gesamten Deviseneinnahmen ausmachen, fielen die in Scharen davonlaufenden oder nicht anreisenden Touristen besonders schwer ins Gewicht. Dagegen waren die Einnahmen vom Suezkanal, einer weiteren wichtigen Deviseneinnahmequelle, nicht wesentlich von der Krise betroffen. Als Folge schrumpfte nach Angaben der ägyptischen Zentralbank das reale BIP im ersten Quartal 2011 um 4,2%, und der IWF hat seine BIP-Wachstumsprognose für das Haushaltsjahr (endet im Juni 2011) nach unten korrigiert: von 5,5% auf 1%.

In der nahen Zukunft werden Tourismus und ausländische Direktinvestitionen weiterhin beeinträchtigt bleiben, solange die Unsicherheit über den Übergang andauert. Die gute Liquiditätslage des Bankensektors vor den Unruhen hat dazu beigetragen, dass die Branche die Krise relativ gut überstanden hat. Ein geringeres Wirtschaftswachstum wird sich in der Zukunft aber negativ auf die Rentabilität der Banken auswirken. Auch die Abwertung des Ägyptischen Pfundes konnte begrenzt werden, doch dafür schrumpften die Devisenreserven, die sich vor der Krise auf einem sehr hohen Niveau befunden hatten, deutlich.

Da die Wirtschaftsleistung zurückgegangen ist, sind die Finanzierungskosten gestiegen, und auch die öffentlichen Ausgaben mussten erhöht werden, um den dringendsten wirtschaftlichen Bedürfnissen gerecht zu werden. Die Übergangsregierung sagte für das kommende Haushaltsjahr ursprünglich einen Anstieg des Haushaltsdefizits auf rund 11% des BIP voraus. Dies hat die Regierung veranlasst, bilaterale und multilaterale Finanzhilfe zu suchen und ein Stand-by-Abkommen in Höhe von 3 Mrd US$ mit dem IWF zu vereinbaren. Letzte Woche hat der ägyptische Finanzminister jedoch angekündigt, dass das Land die Gelder des IWF oder der Weltbank nicht brauche, nachdem die Prognose für das Haushaltsdefizit auf 8,6% reduziert wurde.

Das Haushaltsdefizit soll mit einem erhöhten Steuersatz für höhere Einkommen und Subventionskürzungen für die Industrie in Schach gehalten werden. Diese Maßnahmen wurden in einem nationalen Dialog abgestimmt. Die Entscheidung, auf die Möglichkeit einer multilateralen Kreditaufnahme zu verzichten, soll nach offiziellen Angaben die Schuldenlast für die noch zu wählende Regierung verringern. Wenigstens zum Teil kann dies aber auch durch den Widerstand der Bevölkerung gegen einen IWF-Kredit erklärt werden.

Als Grundvoraussetzung für den wirtschaftlichen Aufschwung Ägyptens gilt ein erfolgreicher politischer Übergang, der das Land stabilisiert. Das Land braucht den Aufschwung dringend, um die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung zu verbessern. Nach großer Zustimmung zu Verfassungsänderungen bei der Volksabstimmung im vergangenen März wurden die Parlamentswahlen auf September und die Präsidentschaftswahlen auf November 2011 festgesetzt.

Allerdings gibt es auch Stimmen für eine Verschiebung der Wahlen auf spätere Zeitpunkte, so dass zuerst eine neue Verfassung entworfen werden kann und die neu gegründeten Parteien mehr Zeit zur Vorbereitung bekommen. Viele argumentieren, dass zu früh stattfindende Wahlen nur der von der Muslimbruderschaft (MB) gegründeten „Freedom and Justice Party“ helfen würden. Die Muslimbruderschaft ist eine islamistische Bewegung mit mehr als 80 Jahren Erfahrung und einem gut ausgebauten nationalen Netzwerk.

Obwohl natürlich zu erwarten ist, dass die MB einen deutlichen Einfluss auf die künftige ägyptische Innen- und Außenpolitik haben wird, hat die Organisation angekündigt, dass sie sich nicht an den Präsidentschaftswahlen beteiligen und bei den Parlamentswahlen höchstens für die Hälfte der Sitze kandidieren wird. Darüber hinaus sind in den letzten Wochen Meinungsverschiedenheiten über die politische Strategie innerhalb der Bewegung aufgetreten.

Solange der Übergang zu einer echten Demokratie nicht vollendet ist, besteht die Gefahr, dass die Übergangsregierung bei notwendigen, aber unbeliebten Entscheidungen unter starken öffentlichen Druck gerät. Die Übergangsregierung ist nicht demokratisch legitimiert, und ihr ist bereits vorgeworfen worden, dass sie nur reaktiv regiere, das frühere Regime nicht strengstens verurteile und zu langsam auf sektiererische Bewegungen reagiere, die sich seit der Revolution verschärft hätten.

Kontakt: c.witte[at]delcredere.eu

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