Exportierende Unternehmen, die aktuell Geschäfte mit Abnehmern aus Brasilien eingehen, sollten die Bonität ihrer Abnehmer genau im Auge haben. Die Gefahr, einen Forderungsausfall zu erleiden, ist in Brasilien noch einmal gestiegen.

Brasilien zählt zu den Ländern, in denen besonders viele Menschen an Covid-19 erkrankt sind. Das wirkt sich auch auf die Wirtschaft des lateinamerikanischen Landes aus. Für das Jahr 2020 wird ein Rückgang des BIP von mehr als 6% gegenüber dem Vorjahr erwartet. Atradius hat analysiert, welche Branchen in der größten Volkswirtschaft die Krise meistern und wo potentielle Ausfallrisiken drohen.

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Viele brasilianische Unternehmer befürworten die Wirtschaftspolitik von Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, deren marktorientierte Ausrichtung sich an der der Vorgängerregierung orientiert. Bolsonaros Legislaturperiode ist jedoch geprägt von einem stark fragmentierten Kongress, bestehend aus 30 Parteien im Unterhaus und 21 im Senat, der Gesetzesbeschlüsse erschwert. Die Partei des Staatspräsidenten hält nur 10% der Sitze im Unterhaus.

Zahlreiche politische Baustellen

Die Politik des Präsidenten hat bereits vor der Coronakrise zu sozialen und politischen Spannungen in der Bevölkerung geführt. Auch sein Krisenmanagement nach dem Ausbruch der Coronapandemie und sein Herunterspielen der Auswirkungen des Virus stehen in der Kritik. So leiteten die Landesregierungen einzelner Bundesstaaten die ersten Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 ein, nicht der Präsident. Außer mit der Pandemie hat Brasilien aktuell mit starken Waldbränden zu kämpfen. Zusätzlich muss sich Jair Bolsonaro gegen den Vorwurf der Einmischung in die lokale Polizeiarbeit verantworten, was auch zu Protesten seiner Anhänger führte.

Auf Erholung folgt Rezession

Die mehr als 200 Millionen Brasilianer sehen sich einem relativ hohen Coronainfektionsrisiko ausgesetzt. Brasilien gehört seit Monaten zu den Ländern mit den meisten Ansteckungen. Die eingesetzten Lockdown-Maßnahmen haben die Wirtschaft massiv geschwächt. Prognosen zufolge gehen die Investitionen in dem Land infolge der Coronakrise um rund 10% gegenüber dem Vorjahr zurück, der private Konsum dürfte um mehr als 8% schrumpfen. Die langsame Erholungsphase nach der tiefen Rezession (2014–2016) ist damit beendet. Für das Jahr 2020 gehen die Experten von einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von über 6% gegenüber dem Vorjahr aus.

Die starke Abhängigkeit von der Dienstleistungsbranche und die sinkenden Rohstoffexporte (Prognose für 2020: –4%) in Kombination mit der hohen Verschuldung machen die Wirtschaft anfällig für Krisen. Insbesondere die Rohstoffnachfrage aus China, den USA und Argentinien ist eingebrochen. Ein Hoffnungsschimmer zeichnet sich in der gestiegenen Nachfrage nach Sojabohnen im April 2020 ab, und die Ölexporte nach Asien sind positiv zu bewerten.

Viele wirtschaftspolitische Indikatoren im roten Bereich

Die Arbeitslosigkeit, die laut Schätzungen im Jahresverlauf auf 13% ansteigen wird, drückt auf den privaten Konsum. Die Gefahr von Zahlungsausfällen ist branchenübergreifend deutlich gestiegen. Das gleiche Szenario gilt für die Insolvenzprognose. Atradius rechnet mit einem Anstieg der Firmenpleiten von 20% in diesem Jahr gegenüber 2019. Für den öffentlichen Haushalt wird ein Defizit von 15% erwartet. Die öffentlichen Schulden liegen am Jahresende voraussichtlich bei 91% vom BIP.

Seit Jahren kämpft die brasilianische Regierung mit einem hohen Defizit des Staatshaushalts. Mittelfristig bedarf es struktureller Reformen, die zum Schuldenabbau führen, um attraktiv für ausländische Investoren zu bleiben. Der Finanzsektor gilt dennoch als vergleichsweise stabil, weil ein Großteil der Schulden lokal finanziert wird und der Bedarf an externer Finanzierung aus dem Ausland gering ist. Zudem ist der Brasilianische Real gegen Währungsrisiken abgesichert und kann durch den flexiblen Währungskurs als Stoßdämpfer dienen. Sobald die Pandemie eingedämmt ist, kann von einer Erholung des Real ausgegangen werden, dessen Wechselkurs gegenüber dem US-Dollar Mitte Juli stark eingebrochen war.

Die brasilianischen Unternehmen: Verlierer und Profiteure der Pandemie

Der Agrarsektor konnte eine sehr gute Ernte einfahren und profitiert weiter von den Unstimmigkeiten zwischen den USA und China. Auch der niedrige Wechselkurs lässt die Exporte steigen. Im Gegenzug leiden Importeure von Düngemitteln unter gestiegenen Preisen.

In der Automobilbranche sinkt derzeit die Nachfrage. Das hat zu Liquiditätsengpässen geführt. Eine Zunahme von Zahlungsausfällen bei Zulieferern und Verkäufern kann nicht ausgeschlossen werden. Auf der anderen Seite profitiert die Transportbranche von steigenden Bestellungen im Onlinehandel sowie von der guten Ernte, die für eine hohe Auslastung der brasilianischen Logistikunternehmen sorgt.

Die Umsätze und Gewinne in der Chemie- und Pharmabranche haben sich in den vergangenen Jahren positiv entwickelt. Der Absatz von Arzneimitteln dürfte weiter steigen. Im Chemiesektor, in dem die meisten Rohwaren importiert werden, sind die Kosten für Chemikalien gestiegen. Gleichzeitig ist die Nachfrage leicht zurückgegangen. Es wird damit gerechnet, dass die Wertschöpfung um 6% gegenüber dem Vorjahr zurückgeht.

In der Baubranche geraten derzeit insbesondere kleinere Unternehmen durch die geringen Margen schnell in Liquiditätsengpässe. Der Abschwung verschärft die Situation. Allerdings transferieren die Verbraucher ihr Erspartes aktuell in die Renovierung ihrer Haushalte, weil sie weniger Reisen tätigen. Die Nachfrage nach größeren Apartments ist gestiegen. Die Branche profitiert von den historisch niedrigen Zinsen. Sie liegen aktuell unter 3%.

Der Absatz von langlebigen Gebrauchsgütern ist, bedingt durch die Pandemie, insgesamt rückläufig. Der Handel hat mit Einbußen zu kämpfen (Wertschöpfung 2020: –4%). Besonders bei statio­nären Händlern, die keinen Onlinehandel installiert haben, steigen die Ausfall­risiken. Durch das Home-Office ist der Absatz von Kleingeräten und sogenannter weißer Ware gestiegen. Auch die Finanzhilfen für ärmere Haushalte sorgen für Einnahmen.

Die Lebensmittelbranche entwickelte sich ebenfalls rückläufig, bedingt durch Lieferschwierigkeiten. Für 2021 wird eine nachhaltige Erholung erwartet.

Die Informations- und Kommunikationsgüterbranche hat im Frühjahr unter den Corona-bedingten Schließungen gelitten. Insbesondere kleinere Anbieter stecken in Liquiditätsschwierigkeiten. Durch die Einführung von Home-Office-Regelungen nimmt der Absatz von Laptops und Tablets wieder an Fahrt auf.

Die Finanzdienstleistungsbranche ist robust. Die finanziellen Probleme von Firmen und Verbrauchern könnten zu Kreditausfällen und strengeren Konditionen führen. Atradius rechnet mit einem Rückgang der Wertschöpfung um 3%.

Der Maschinenbau muss einen Rückgang der Wirtschaftsleistung durch eine rückläufige Nachfrage von fast 10% verkraften. Der Sektor profitiert davon, dass der Import ausländischer Maschinen durch den Wechselkurs teurer geworden ist. In der Metall- und Stahlindustrie ist der Rückgang mit jeweils 15% sogar noch dramatischer. Beide Branchen hoffen auf bessere Umsätze in Q3 und Q4 2020.

Die Papierhersteller kämpfen mit einer geringeren Nachfrage, der Rezession insgesamt und der Digitalisierung, die für weniger Absatz sorgt. Die Wertschöpfung wird bis Ende des Jahres voraussichtlich um 10% schrumpfen. Das Ausfallrisiko steigt.

Wie im Rest der Welt leiden im Dienstleistungssektor Gaststätten, Reiseveranstalter und die Kulturszene unter den Corona-bedingten Schließungen. Die Wertschöpfung sinkt hier bis Ende 2020 um voraussichtlich 8%. Es ist mit Zahlungsausfällen und Insolvenzen zu rechnen.

Exportierende Unternehmen, die aktuell Geschäfte mit Abnehmern aus Brasilien eingehen, sollten vor diesem Hintergrund die Bonität ihrer Abnehmer genau im Auge haben. Die Gefahr, einen Forderungsausfall zu erleiden, ist in Brasilien noch einmal gestiegen.

Die vollständige Analyse steht kostenlos auf www.atradius.de zum Download bereit.

michael.karrenberg@atradius.com

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