In der exportkontrollrechtlichen Literatur und in den einschlägigen behördlichen Merkblättern ist häufig zu lesen, dass die Exportkontrolle besser nicht im Vertrieb angesiedelt werden solle. Bei genauerer Betrachtung überrascht dieser (apodiktische) Ratschlag. Es kann gute Gründe geben, die Exportkontrolle gerade im Vertrieb zu implementieren. Diese Entscheidung sollte in einem ergebnisoffenen Verfahren getroffen werden, das sich eng an den praktischen und organisatorischen Gegebenheiten orientiert.

Beitrag in der Gesamtausgabe

Bei dem Design eines Trade-Compliance-Management-Systems und somit bei der Frage nach der exportkontrollrechtlichen Aufbau- und Ablauforganisation geht es darum, ergebnisoffen zu sein und nicht von vornherein auszuschließen, die Exportkontrolle im Vertrieb anzusiedeln. Der Begriff „Trade-Compliance-Management-System – TCMS“ wird vorliegend synonym für den Begriff „Innerbetrieb­liches Complianceprogramm – ICP“ verwendet.

Exportkontrolle und Vertrieb haben gleiche Ziele

Bei kleineren und mittleren Unternehmen (KMUs) stellt sich häufig die Frage, wo und wie die Exportkontrolle organisatorisch, räumlich und personell wirkungsvoll im Unternehmen implementiert werden soll. Bei größeren KMUs und den großen, internationalen Konzernen stellt sich diese Frage hingegen selten, da aufgrund der Unternehmensgröße die (Trade-)Compliance-Mitarbeiter, inkl. Exportkontrolle, häufig in eigenen Bereichen oder Abteilungen zusammengefasst sind.

Bei den KMUs, die keine eigenständigen Compliancebereiche oder Abteilungen haben, ist die Exportkontrolle – das Trade-Compliance-Office – in der Praxis organisatorisch häufig als Stabsstelle an die Vertriebsleitung (Bereich oder Abteilung) oder innerhalb einer Vertriebslinienfunktion angesiedelt. Teilweise sitzen die Vertriebsmitarbeiter und die Trade-Compliance-Mitarbeiter aufgrund der organisa­torischen Einbindung der Exportkontrolle im Vertrieb in den gleichen (Großraum-)Büros, was auch gemeinsame, regelmäßige Teambesprechungen beinhaltet. So können exportkontrollrechtlich risikoreiche Neuanfragen direkt mit dem Trade-Compliance-Team besprochen werden, quasi in Echtzeit. Besser geht es nicht. Gerade wenn in einem Unternehmen von der Geschäftsführung, inkl. der Vertriebsleitung, eine starke und integre Compliancekultur ausgerollt wurde („Tone from the Top“), kann der Vertrieb sogar der beste Ort sein, um eine schlanke, wirkungsvolle und effiziente Exportkontrolle zu installieren.

Bei einem modernen Complianceverständnis haben die Mitarbeiter in der Exportkontrolle und die Vertriebsmitarbeiter auch keine gegensätzlichen Ziele. Die Trade-Compliance-Mitarbeiter sind nicht (mehr) die „Umsatzverhinderer“, die in einem vermeintlichen Interessenkonflikt zum Vertrieb stehen. Sie sind vielmehr businessaffine interne Berater, die durch risikosteuernde Maßnahmen für legale Umsätze sorgen und sichere Geschäfte auch mit exportkontrollrechtlich eher risikoreichen Gütern, Ländern oder Personen ermöglichen.

Trennung von Exportkontrolle und Vertrieb birgt Gefahren

Folgt man hingegen der einschlägigen Literatur und den behördlichen Merkblättern, sollte die Exportkontrolle organisatorisch, räumlich und personell besser nicht im Vertrieb angesiedelt werden. Dieser (häufig zu apodiktische) Ratschlag birgt Gefahren.

Zum einen erhöht die organisatorische Trennung von Exportkontrolle und Vertrieb die Anforderungen an den Complianceeinbindungsprozess. Denn es stellt sich dann die Frage, wie die Trade-Compliance-Teams von den (risikoreichen) Neuanfragen, die im Vertrieb eingehen, erfahren.

Je weiter weg die Exportkontrolle vom Vertrieb organisatorisch, räumlich und personell verortet ist, desto höher sind die Anforderungen an eine präzise Prozessgestaltung, um sicherzustellen, dass der Vertrieb die entsprechenden Neuanfragen zur Klärung an die Complianceteams weiterleitet. Im schlimmsten Fall kann gerade dadurch, dass die Exportkontrolle nicht im Vertrieb angesiedelt ist, rechtswidriges Verhalten ermöglicht werden. Denn je komplexer der Complianceeinbindungsprozess aufgrund der organisatorischen, räumlichen und personellen Trennung ist, desto leichter kann er auch umgangen werden. Dieses Ablaufprozessrisiko kann bei einer organisatorischen Trennung von Exportkontrolle und Vertrieb höher sein als das vermeintliche Risiko, die Exportkontrolle im Vertrieb anzusiedeln.

Des Weiteren besteht die Gefahr, dass behördliche TCMS- bzw. ICP-Prüfungen – beispielsweise durch BAFA, HZA oder Staatsanwaltschaft – alleine deshalb negativ beginnen oder verlaufen, weil die Exportkontrolle im Vertrieb angesiedelt ist. Einer solchen möglichen Voreingenommenheit bei behördlichen TCMS- bzw. ICP-Prüfungen muss unbedingt der Wind aus den Segeln genommen werden. Hier sind in jedem Einzelfall die Gründe für die organisatorische Einbindung der Exportkontrolle im Vertrieb und die Wirksamkeit der Exportkontrolle im operativen Tagesgeschäft zu hinterfragen.

Ansiedlung in Vertriebsabteilung nicht von vornherein ausschließen

Selbstverständlich gibt es in der Praxis auch valide Gründe, die Exportkontrolle nicht im Vertrieb anzusiedeln. Und tatsächlich installieren zahlreiche Unternehmen die Exportkontrolle aus bestimmten Gründen berechtigterweise nicht im Vertrieb. Es geht schließlich darum, für jedes Unternehmen ein individuelles und maßgeschneidertes TCMS bzw. ICP zu entwerfen und zu implementieren. Hierbei ist es jedoch wichtig, die Frage nach der exportkontrollrechtlichen Aufbau- und Ablauforganisation ergebnisoffen anzugehen und nicht von vornherein auszuschließen, die Exportkontrolle im Vertrieb anzusiedeln.

Vor diesem Hintergrund kann es möglicherweise sinnvoll sein, in Zukunft auf den häufig in der exportkontrollrechtlichen Literatur und in behördlichen Quellen zu findenden (apodiktischen) Ratschlag zu verzichten, wonach die Exportkontrolle besser nicht im Vertrieb angesiedelt werden solle. Es besteht das Risiko, dass behördliche TCMS- bzw. ICP-Prüfungen voreingenommen beginnen oder verlaufen. Durch eine organisatorische Trennung von Exportkontrolle und Vertrieb wird der Complianceeinbindungsprozess komplexer und anfälliger. Es gibt schließlich zahlreiche Beispiele aus der Unternehmenspraxis, in denen die Exportkontrolle schlank und wirkungsvoll im Vertrieb installiert wurde.

Resümee

Der vermeintliche Interessenkonflikt zwischen Exportkontrolle und Vertrieb besteht in der Regel in Unternehmen, in denen keine echte, integre Compliancekultur besteht, der Vertrieb „das Sagen hat“ und die Compliancekollegen als „Umsatzverhinderer“ abgetan werden. In solchen (hoffnungslosen) Fällen ist es dann aber auch ziemlich gleichgültig, wo die Exportkontrolle organisatorisch, räumlich und personell installiert wird.

Sofern Geschäftsführung, Vertrieb und Compliance legale Umsätze erzielen wollen, kann es hingegen gerade Ausdruck einer starken, integren Compliancekultur in einem Unternehmen sein, wenn es gelingt, eine effiziente Exportkontrolle im Vertrieb aufzubauen.

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