Obwohl Südamerika gerne als homogene Region wahrgenommen wird, besteht es aus sehr heterogenen Ländern. Vom tropischen Öl- und Gasexporteur Venezuela bis zu den gemäßigteren Klimagefilden des Bergbaugiganten Chile – die Länder unterscheiden sich nicht nur in geographischer Hinsicht, sondern auch kulturell und wirtschaftlich. In Bezug auf die Wirtschaft eint sie jedoch ein gemeinsamer Nenner: die Abhängigkeit vom Rohstoffexport und den Rohstoffpreisen auf den internationalen Märkten.

Von Dr. Alexander Schober, Büroleiter São Paulo, KfW IPEX-Bank

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Rohstoffboom

Während der vergangenen zwei Jahrzehnte haben die südamerikanischen Länder vom Rohstoffsuperzyklus profitiert, der im Wesentlichen von Chinas Bedarf an Rohstoffen angetrieben wurde. Diese Zeit brachte eine Menge Reichtum in die Region und ging mit einem Aufstieg der linken Regierungen in Ländern wie Venezuela, Brasilien und Argentinien einher. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung wurden soziale Programme gegen die Armut gefördert, die Mittelschicht in diesen Ländern ausgeweitet und dem Staat eine verstärkte Präsenz in der Wirtschaft ermöglicht.

In Brasilien wurden die hohen Preise von Soja und Eisenerz u.a. für den Ausbau der Kaufkraft von Familien, eine Erhöhung des Angebots an subventionierten Krediten für inländische Unternehmen und für die Erhaltung von Konjunkturprogrammen sowie steuerliche Anreize genutzt. Vom Jahr 2000 bis Anfang 2014 stieg das BIP um durchschnittlich 3,3% pro Jahr an, und die Arbeitslosenquote sank von 7,1% auf 5,4%. Die Wirtschaft des Landes erreichte 2011 weltweit gesehen den sechsten Platz, und der Index der menschlichen Entwicklung stieg von 0,685 Anfang 2000 auf 0,755 im Jahr 2014 an.

Als jedoch die „Rohstoffeuphorie“ 2014 vorbei war, sank der Bedarf an Rohstoffen aus Südamerika beträchtlich, und es folgten Haushaltsungleichgewichte sowie eine steigende Inflation. Die Region traf eine der schlimmsten Rezessionen der letzten 30 Jahre mit einer Kontraktion der Wirtschaftsleistung um bis zu 2,3% im Jahr 2016.

In Brasilien brachten Korruptionsskandale und eine unzureichende Durchsetzung der Steuererhebung das ganze Ausmaß der Budgetüberschreitungen der Regierung ans Licht und offenbarten ein unhaltbares Haushaltsdefizit von ungefähr 50 Mrd USD. Das Rentensystem des Landes blieb unverändert, obwohl die Lebenserwartung seit Anfang 2000 um ungefähr sieben Jahre gestiegen ist, und die Arbeitsgesetze wurden nicht an die gesellschaftlichen Änderungen angeglichen. Trotz des steigenden Bruttoinlandsprodukts und sinkender Arbeitslosenzahlen verblieb die Gesamtproduktivität der brasilianischen Arbeitskräfte im Jahr 2014 auf dem Niveau des Jahres 1980, während die industrielle Produktivität im Vergleich zum Jahr 2000 um fast 6% gesunken war. Dies brachte Investitionen zum Stillstand und zwang das Land nach der Amtsenthebung von Dilma Rousseff, sein Wachstumsmodell grundlegend zu überdenken.

Aufstieg konservativer Kräfte und marktfördernder Reformen

Die Unzufriedenheit mit der aktuellen wirtschaftlichen und politischen Situation spiegelt sich in den kürzlich abgehaltenen Wahlen wider und wird sich aller Voraussicht nach auch in den anderen südamerikanischen Wahlen der kommenden zwei Jahre zeigen. Eine neue Welle von konservativen, neoliberalen Politikern mit marktfördernden Idealen hat die entstandene Kluft in der Region genutzt und verspricht, die Rolle des Staates in der Wirtschaft zu überprüfen, Steuer- und Rentensysteme zu reformieren und das Geschäftsumfeld zu verbessern.

Michel Temer, der Nachfolger von Dilma Rouseff in Brasilien, hat versucht, eine neoliberale Agenda zur Modernisierung der Wirtschaft des Landes und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit durchzusetzen. Das Programm zielt darauf ab, die Präsenz des Staates in der Wirtschaft zu verringern. Staatliche Unternehmen sollen privatisiert und das Haushaltsdefizit durch Maßnahmen wie ein Gesetz zur Ausgabenobergrenze kontrolliert werden. Die Infrastruktur des Landes soll verbessert, der Arbeitsmarkt neu ausgerichtet und das derzeitige Rentensystem überarbeitet werden. Aufgrund der geringen Popularität und der vielen Korruptionsskandale, in die Temer und seine Partei verwickelt sind, haben sein Ansehen und seine Glaubwürdigkeit Schaden genommen; die Durchsetzung dieser Maßnahmen wird dadurch behindert.

In Argentinien wurde den Jahren peronistischer Regierungen, die im Wesentlichen durch Exporte von Sojabohnen und Mais Auftrieb erhielten, durch die Wahl der Macri-Koalition mit ihrer marktorientierten Agenda ein Ende gesetzt. Macris politisches Programm beabsichtigt, Argentinien wieder in den Fokus internationaler Kapitalmärkte zu bringen sowie den fast verschwundenen und veralteten Industriesektor des Landes mit der Aufweichung von Devisen- und Importkontrollen zu erneuern, Schulden zurückzuzahlen und das Steuersystem sowie das Arbeitsrecht zu reformieren.

Auch stabile Länder und historisch gesehen offene Märkte, wie die der Andenregion, scheinen nach den schwierigen Zeiten niedriger Rohstoffpreise konservative Politiker zu bevorzugen. Der ehemalige Investmentbanker und Princeton-Absolvent Pedro Pablo Kuczynski wurde in Peru als Kopf einer konservativen und unternehmensfördernden Agenda gewählt. Die Umfragen für die Präsidentschaftswahlen in Chile in diesem Jahr deuten auf Sebastian Piñera als Spitzenkandidaten hin – einen milliardenschweren Geschäftsmann und Expräsidenten, dessen Kampagne auf einem konservativen Programm zur Reform des Steuersystems, Revisionen des privaten Rentensystems, der Umstrukturierung der Arbeitsgesetzgebung und einem öffentlich-privaten Infrastrukturplan mit Investitionen in Höhe von 20 Milliarden USD beruht.

Chancen in der Privatwirtschaft

Die Versprechen weniger interventionistischer Regierungen und ein unternehmensförderndes Umfeld in der Region in Verbindung mit einem erwarteten Anstieg der Rohstoffpreise in den kommenden Jahren schaffen neue Räume für potentielle Geschäftsmöglichkeiten für deutsche und europäische Unternehmen.

In Brasilien wird der Trend zur Privatisierung und sukzessiven Öffnung verschiedener Märkte viele Möglichkeiten schaffen. Bis dato genossen lokal produzierte Waren einen kompetitiven Vorteil gegenüber importierten Gütern, da für Erstere meist nicht nur eine subventionierte Finanzierung angeboten wurde, sondern für Letztere oft auch hohe Markteintrittsbarrieren („Local Content“-Vorschriften, Strafzölle etc.) galten. Die Internationalisierung kann im Wesentlichen anhand dreier Faktoren beobachtet werden: Erstens: Der schleichende Rückgang der subventionierten Kreditmittel für lokal produzierte Güter, die von der brasilianischen Entwicklungsbank BNDES ausgegeben wurden, erhöht in Zukunft wieder die Attraktivität importierter Güter. Zweitens: Ein weiterer Aspekt ist der Rückgang von lokalen Anforderungen. Dies ist u.a. im Bereich der Offshoreölindustrie gut zu beobachten. Die Lockerung der sog. „Local Content“-Vorschriften führte zu einem seit langem nicht mehr dagewesenen Interesse erfahrener Betreiberunternehmen aus der ganzen Welt. Drittens: Ein weiterer Punkt ist die Professionalisierung transparenter und offener Infrastrukturkonzessionsverfahren mit internationalen Standards, was die Attraktivität des Standorts Brasilien für ausländische Investoren erhöht, z.B. im Sektor der Flughäfen. Hier haben Betreiber aus Frankfurt am Main und Zürich sowie der französische Konzern Vinci die Ausschreibungen im vergangenen Jahr gewonnen. In Summe lässt sich festhalten, dass die Chancen für internationale Unternehmen in Brasilien trotz der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Unsicherheit gestiegen sind. Unterstützt wird dies zudem durch die Stabilität der brasilianischen Institutionen, die inmitten einer der schlimmsten Krisen des Landes die Zuversicht in das Land wieder festigen konnten.

In Kolumbien wird das neue Übereinkommen mit der FARC wahrscheinlich auch zu einem stabileren Umfeld für internationale Unternehmen beitragen. Das 4G-Highway-Programm der vergangenen Jahre ist ein weiteres Beispiel der Öffnung des Landes für internationale Unternehmen. Große europäische Akteure wie Strabag aus Österreich, Sacyr aus Spanien und Infrared Capital Partners aus Großbritannien beteiligten sich an verschiedenen dieser Infrastrukturprojekte.

Viele südamerikanische Länder haben ihren Fokus auf erneuerbare Energien gelegt. Chile hat Regierungsbeschlüsse für erneuerbare Energien durchgesetzt und will die Deckung des Energiebedarfs durch grüne Energien bis 2050 auf bis zu 90% erhöhen. Vermutlich wird dieses Ziel unabhängig von politischen Ausgängen aus den diesjährigen Wahlen durchgesetzt. In Argentinien hat Macri mit der Um-setzung seines langfristigen Plans begonnen, Milliarden von US-Dollar in das Land zu holen, um den Sektor der erneuerbaren Energien auszubauen. Der Präsident nennt 2017 das „Jahr der erneuerbaren Energien“ und hat es sich zum Ziel gesetzt, mit grünen Energien 20% des Energiebedarfs zu decken. Aktuell sind es lediglich 2%.

Die kürzliche Prognose bezüglich einer Erholung der Rohstoffpreise wird auch neue Möglichkeiten im Bergbau schaffen. Mit dem Ende eines der längsten Bergbaustreiks seit den 70er Jahren in Chile und Perus Erholung von der Flutkatastrophe im ersten Quartal dieses Jahres wird erwartet, dass der Bergbau in der zweiten Hälfte von 2017 wieder an Fahrt gewinnen wird. Erwähnenswert ist auch das sogenannte Lithium-Dreieck, bestehend aus Chile, Bolivien und Argentinien, das unter Berücksichtigung der jüngsten Entwicklungen hinsichtlich leistungsfähigerer Batterien und Elektrofahrzeuge viele neue Chancen generieren wird. Argentiniens neue und marktfreundliche Regierungsbeschlüsse für den Bergbau sollten ebenfalls Investitionen im Land steigern.

Letztlich bleibt zu sagen, dass sich trotz der schwierigen politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der Region viele neue Möglichkeiten in den verschiedenen Sektoren ergeben werden, die von den europäischen Unternehmen und Anlegern in den nächsten Jahren in Betracht gezogen werden können.

alexander.schober@kfw.de

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