Die deutschen Exporte in die Türkei stagnieren, die Einnahmen aus dem Tourismus sind um ein Drittel gesunken. Doch die ­Wirtschaftsbeziehungen zur Türkei bleiben robust. Dies zeigt nicht zuletzt der deutlich gestiegene deutsche Import aus der Türkei und die anhaltenden deutschen Investitionen vor Ort. Doch stärker noch als politische Risiken gefährden finanzielle Risiken den Geschäftserfolg.

Von Christoph Witte, Direktor Deutschland, Credimundi, Member of the Credendo Group

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Große Skepsis trotz soliden Wachstums

Das türkische Wirtschaftswachstum bleibt stark und erweist sich angesichts diverser Schocks als belastbar. Eine wichtige Grundlage stellt dabei die dynamische Binnennachfrage dar. Zwischen 2000 und 2014 lag das Wachstum im Schnitt bei 4,5% und sollte 2016 3,3% erreichen. Ein Wachstumsimpuls kommt von der Erhöhung des Mindestlohns um 30%, auch wenn diese die Wettbewerbsfähigkeit und damit den Export beeinträchtigen dürfte. In den kommenden Jahren dürfte das BIP-Wachstum trotz einer akkommodierenden makroökonomischen Politik bei lediglich 3% liegen, was der erhöhten Ungewissheit im Zusammenhang mit der angespannten Sicherheitslage (Terroranschläge und Ende des Waffenstillstands mit der PKK) sowie dem vereitelten Militärputsch zuzuschreiben ist.

Trotz der recht positiven Wachstumsprognosen steht die türkische Wirtschaft vor Problemen. Diese beruhen auf der niedrigen Sparrate, außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten, Zweifeln an der Unabhängigkeit der Geldpolitik, dem negativen Nettoauslandsvermögensstatus des Bankensektors, der zunehmenden Verschuldung des privaten nichtfinanziellen Sektors sowie auf dem wachsenden Anteil kurzfristiger Verbindlichkeiten an der gesamten Auslandsverschuldung.

Wichtigstes Problem in Bezug auf potentielles Wachstum ist die nationale Sparrate. Trotz eines Anstiegs in den vergangenen drei Jahren bleibt der Wert strukturell niedrig und lag 2015 bei unter 16% des BIP. Dies beeinträchtigt das Wachstum und ist einer der Gründe für die Anfälligkeit für externe Faktoren, da das Land zur Finanzierung von Investitionen (volatiles) ausländisches Kapital anziehen muss.

Abhängigkeit von kurzfristiger Finanzierung

Der zweite Vorbehalt betrifft die Zahlungsbilanz, den beträchtlichen Bedarf an ausländischer Finanzierung sowie den im internationalen Vergleich hohen negativen Nettoauslandsvermögensstatus (55% des BIP im Jahr 2014). Positiv zu bewerten ist, dass die Türkei als Brennstoffimporteur in hohem Maße von den niedrigen Ölpreisen profitiert. In der Folge ist das Leistungsbilanzdefizit deutlich zurückgegangen: von 7,7% des BIP im Jahr 2013 auf 4,5% des BIP im Jahr 2015. Doch obwohl der Ölpreis auf absehbare Zeit relativ niedrig bleiben dürfte, verdüstern sich die Aussichten. Die Einnahmen aus dem Tourismus, die über 10% der Leistungsbilanzeinnahmen ausmachen, dürften aufgrund der jüngsten Anschläge in Istanbul und Ankara zurückgehen. In der Folge dürfte das Leistungsbilanzdefizit in den kommenden zwei Jahren leicht zunehmen.

Trotz einer deutlichen Senkung des Leistungsbilanzdefizits im Jahr 2014 wies die Zahlungsbilanz des Jahres 2015 insgesamt einen beträchtlichen Finanzierungsbedarf auf. Die Türkische Lira verlor 2015 stark an Wert, was die Kosten für die Rückzahlung von auf Fremdwährung lautenden Schulden erhöht. Der höchste Finanzierungsbedarf der Zahlungsbilanz seit einem Jahrzehnt unterstreicht die Abhängigkeit der Türkei vom Vertrauen ausländischer Investoren. Das Land muss sich in einem Umfeld niedriger Direktinvestitionen auf kurzfristige Kapitalströme verlassen. Die Türkische Lira bleibt demzufolge in hohem Maße anfällig für eine Veränderung der Risikoaversion bei Investoren. Auslöser einer solchen Veränderung wären z.B. eine Straffung der Geldpolitik seitens der USA, der EU oder Japans, innenpolitische Ereignisse (wie die Auswirkungen des Putschversuchs) oder eine Verschärfung der Sicherheitslage (ein weiterer schwerer Anschlag).

Das Vertrauen ausländischer Investoren schwindet bereits seit einigen Jahren, was zum einen auf die innen- und außenpolitische Lage, zum anderen auf wachsende Zweifel an der makroökonomischen Politik zurückzuführen ist. Positiv zu bewerten ist, dass die öffentliche Finanzlage, eine der Schwächen der Türkei in den vergangenen Jahren, solide bleibt: Der gesamtstaatliche Bruttoschuldenstand ist moderat (knapp 30% des BIP), und das Haushaltsdefizit ist niedrig (weniger als 2% des BIP). Negativ ist die Glaubwürdigkeit der Geldpolitik, die aufgrund der mangelnden Unabhängigkeit der Zentralbank zunehmend in Frage gestellt wird. Infolgedessen sowie aufgrund der abwertungsbedingten Verteuerung der Importe liegt die Inflationsrate deutlich über dem von der Zentralbank definierten Ziel von 5% und stieg im Jahresverlauf 2016 weiter an.

Starke Abhängigkeit von Außenfinanzierung im Bankensektor

Auch der Bankensektor ist auf das Vertrauen ausländischer Investoren angewiesen, und in den vergangenen fünf Jahren hat sich seine negative Nettoauslandsvermögensposition stark verschlechtert. Obwohl der Bankensektor eine gute Regulierung und eine angemessene Kapitalausstattung aufweist und der Anteil notleidender Kredite niedrig ist, sind die Kapitalunterlegung und die Ertragskraft zurückgegangen. Die Qualität der zugrundeliegenden Vermögenswerte dürfte sich in den kommenden Jahren verschlechtern, was auf einen drastischen Anstieg der Verschuldung von Unternehmen (oft in Fremdwährung) in den vergangenen Jahren zurückzuführen ist.

Das Geschäftsumfeld der Türkei hat sich leicht verschlechtert. Das Land ist auf dem „Ease of Doing Business“-Index der Weltbank von Platz 51 im Jahr 2015 auf Platz 55 im Jahr 2016 gefallen, und auf dem Transparency-International-Index über die wahrgenommene Korruption (TI CPI) fiel die Türkei von Platz 45 im Jahr 2014 auf Platz 42 im Jahr 2015 (je höher die Bewertung im TI CPI, desto niedriger die wahrgenommene Korruption). Die Verschlechterung des Geschäftsumfelds hat die Unternehmen mit vermeintlichen Verbindungen zu Fethullah Gülen besonders hart getroffen. Nach dem fehlgeschlagenen Putschversuch haben die türkischen Behörden den Ausnahmezustand verhängt, und Tausende Angehörige der Armee, der Justiz, der Medien und des Bildungswesens wurden suspendiert, verhaftet oder unter Beobachtung gestellt. Da die türkische Regierung behauptet, der Drahtzieher des Putschversuchs sei Fethullah Gülen – ehemals Partner und heute Erzfeind Erdogans –, wurden Unternehmen und Geschäftsleute mit vermeintlichen Verbindungen zu Gülen schwer getroffen. So übernahmen die türkischen Behörden die Kontrolle über Banken, verschiedene Medienhäuser und andere Unternehmen mit mutmaßlichen Kontakten zu Gülen-Sympathisanten. Allerdings sind die verstaatlichten Unternehmen und neu bestellten Manager dazu angehalten, an ihren vertraglichen Verpflichtungen festzuhalten.

Wachsendes finanzielles Risiko bei Anstieg der Auslandsverschuldung und des Schuldendienstes

Die Auslandsverschuldung ist in den vergangenen Jahren leicht gestiegen, ebenso der Anteil kurzfristiger Auslandsverbindlichkeiten und die Schuldendienstquote. Die kurzfristige Verschuldung befindet sich mit über 50% der Leistungsbilanzeinnahmen auf einem hohen Niveau. Dennoch wird das kurzfristige politische Risiko unverändert in die recht günstige Kategorie 3 eingestuft. So verfügt die Türkei trotz der Herabstufung ihrer Kreditwürdigkeit durch S&P und Moody’s über Zugang zu den Finanzmärkten und ist damit in der Lage, ihre kurzfristigen Schulden zu refinanzieren. Die Bruttodevisenreserven bleiben adäquat und deckten Mitte 2016 über fünf Monatsimporte ab. Obwohl dies ein angemessenes Niveau ist, reichen die Reserven nicht aus, um die kurzfristigen Verbindlichkeiten abzudecken.

Da der Wechselkurs weitgehend flexibel ist, werden externe Schocks nicht durch eine starke Reduzierung der Devisen­reserven oder unkonventionelle Maß­nahmen, sondern vielmehr durch Wechselkurskorrekturen und nur begrenztes Eingreifen seitens der Zentralbank aufgefangen. Dies dürfte sich weiter fortsetzen, sofern nicht eine starke Abwertung der Währung die Zentralbank dazu zwingt, Maßnahmen zur Verhinderung eines Währungsverfalls zu ergreifen. Ein solches Vorgehen würde die Devisenreserven unter Druck setzen.

Fazit

Die Folgen des Putschversuchs, die Zunahme von Terroranschlägen, erneute Konflikte mit der PKK, Auswirkungen des Syrien-Konflikts sowie die zunehmende Polarisierung könnten das Anlegervertrauen erschüttern und zu umfangreichen Kapitalabflüssen und einem Rückgang der Leistungsbilanzeinnahmen (besonders der Tourismuseinnahmen) führen. Dies ist für die Türkei von besonderer Tragweite: Auch wenn das Land ein widerstandsfähiges Wirtschaftswachstum, solide Staatsfinanzen sowie ein zurück­gehendes Leistungsbilanzdefizit aufweist, bleiben die außenwirtschaft­lichen Ungleichgewichte erheblich, und der Anteil der kurzfristigen Auslandsverschuldung nimmt zu. Folglich ist die Türkei für Veränderungen auf den globalen Märkten besonders anfällig (u.a. für eine Straffung der Geldpolitik seitens großer Zentralbanken). Im Falle eines plötzlichen Stopps von Kapitalzuflüssen ist mit einer Abwertung der Währung zu rechnen, und Banken und Nichtfinanzunternehmen könnten bei der Refinanzierung ihrer fällig werdenden Schulden in Schwierigkeiten geraten.

Das kurzfristige politische Risiko wurde in Kategorie 3 eingestuft. Diese moderate Bewertung beruht auf dem Zugang der Türkei zum internationalen Markt und der adäquaten Höhe der Devisenreserven, die über fünf Monatsimporte abdecken, sowie der hohen kurzfristigen Verschuldung. Das systemische Geschäftsrisiko wird in Kategorie C eingeordnet und wird negativ beeinflusst durch die (potentielle) Abwertung der Türkischen Lira, die Kosten der Rückzahlung von auf Fremdwährung lautenden Schulden sowie die Verschlechterung des Geschäftsumfelds.

Weitere Länderberichte und aktuelle ­Risikobewertungen von Credimundi finden Sie unter www.credimundi.de.

Kontakt: c.witte@credendogroup.com

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