Bulgarien spürt den Rückgang der EU-Mittel: Die öffentliche Hand schränkt ihre Investitionen ein. Doch der private Verbrauch und die Nettoexporte dürften das Wachstum in den Jahren 2016 und 2017 stabil bei 2,3 % halten. Gleichzeitig leiden die Unternehmen unter einer hohen Verschuldung, auch sie halten sich mit Investitionen zurück, und eine Erholung der Kreditvergabe ist nicht in Sicht. Darin spiegeln sich Engpässe auf der Angebots- und auf der Nachfrageseite wider.

Von Christoph Witte, Direktor Deutschland, Credimundi, Member of the Credendo Group

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Exporte profitieren von Euro-Schwäche

Bulgariens Hauptexportpartner im Güterbereich sind Deutschland, Italien, die Türkei, Rumänien und Griechenland. Ein beträchtlicher Teil der bulgarischen Exporte geht in Länder außerhalb der Euro-Zone. Sie wurden im vergangenen Jahr vom niedrigen Wert des Euro begünstigt, an den Bulgariens Landeswährung gekoppelt ist. Das Wirtschaftswachstum profitierte 2015 auch vom Anstieg der öffentlichen Investitionen, die durch die Kohäsions- und Strukturfonds der als Kofinanzierer auftretenden EU ermöglicht wurden. Dieser Anstieg war auf die Verwendung der verbleibenden Mittel aus dem vorherigen Finanzierungszyklus von 2007–2013 zurückzuführen und dürfte sich folglich in diesem Jahr nicht mit derselben Geschwindigkeit fortsetzen. Die Privatinvestitionen werden weiterhin von einem ungünstigen Geschäftsumfeld beeinträchtigt.

Für 2016 und 2017 wird eine Wachstumsverlangsamung prognostiziert, die vorwiegend auf die verminderte Verfügbarkeit von EU-Zuschüssen im Vergleich zu 2015 zurückzuführen ist. Andererseits könnte der private Verbrauch künftig zunehmen. Noch im Jahr 2015 blieb er trotz der niedrigen Inflation eher gedämpft, da das Lohnwachstum gering und die Haushaltslage wenig expansiv waren. Der Export dürfte von einer höheren Nachfrage aus der EU profitieren (nahezu 60 % der exportierten Güter werden in die Europäische Union ausgeführt), und der geringere Wert des Euro dürfte sich ebenfalls positiv auswirken. Dank dieser Faktoren sollten die Nettoexporte einen wichtigen Beitrag zum Wirtschaftswachstum leisten. Der IWF prognostiziert für die Jahre 2016 und 2017 ein reales BIP-Wachstum von 2,3%.

Hohe Schulden erschweren ­Investitionen

Die Verschuldung bulgarischer Nichtfinanzunternehmen, die 2014 bei etwa 100% des BIP lag, gehört zu den höchsten unter den neuen EU-Mitgliedstaaten. Die Schulden sind in den Boomjahren vor der Krise stark angestiegen und seit 2008 nur leicht zurückgegangen. Dieses Schuldendienstrisiko wird nun von negativer Inflation weiter verschärft, was die Rentabilität von Nichtfinanzunternehmen unter Druck setzt und den Schuldenabbau erschwert. Die Bau- und Immobilienbranche wird vom in der Krise 2009 erfolgten Verfall der Vermögenspreise noch zusätzlich getroffen, da diese Branche in der Zeit vor der Krise erheblich zum Schuldenanstieg beigetragen hat. Gemäß der Europäischen Kommission sind „die Branchen, die mit dem größten Risiko für die Tragfähigkeit des Schuldenstands konfrontiert sind, die Bau- und Immobilienbranche, Hotels und Restaurants sowie andere Unternehmensdienstleistungen.“ Die Schulden des öffentlichen Stromversorgers NEK betragen ebenfalls nahezu 4% des BIP, und die finanziellen Probleme werden aufgrund des gesellschaftlichen Drucks in Verbindung mit steigenden Strompreisen zunehmend akut.

Trotz vielversprechender Finanzreformen erfolgt keine Erholung des Kreditwachstums. Das Kreditwachstum im Unternehmenssektor stagniert seit 2010 und verzeichnet seit der Bankenkrise 2014 sogar einen Rückgang, was Engpässe auf der Angebots- sowie auf der Nachfrageseite widerspiegelt. Zwar hat die Zentralbank negative Anreize eingeführt, damit Banken keine überschüssigen Liquiditätsreserven einbehalten, doch die schwachen Wirtschaftsaktivitäten und das Streben nach Schuldenabbau bei einem hohen Verschuldungsgrad senken die Nachfrage auf Unternehmensseite.

Korruption und Bürokratie belasten Unternehmen

Bürokratie und Korruption werden häufig als die größten Hürden für Geschäftstätigkeiten in Bulgarien genannt. Laut einer Studie der Europäischen Kommission geben 61% der Manager aus dem bulgarischen Privatsektor an, dass Korruption für ihre Geschäftstätigkeit ein Problem darstelle (EU-Durchschnitt: 40%). Nahezu 60% der Unternehmen (der höchste Prozentsatz in der EU) erklären, dass Korruption sie daran gehindert habe, eine öffentliche Ausschreibung zu gewinnen oder einen öffentlichen Auftrag zu erhalten (seit 2013 um 2 Prozentpunkte gestiegen). Nur 14% (der niedrigste Prozentsatz in der EU) erklären, dass Bulgarien Maßnahmen gegen Korruption neutral anwende (gesunken von 23% im Jahr 2013). Die Behörden gehen dieses Problem nur sehr langsam an und werden dabei von schwachen Institutionen behindert. Ein instabiler politischer und gesetzlicher Rahmen, Zweifel an der Unabhängigkeit, Qualität und Effizienz der Justiz sowie langwierige Insolvenzverfahren stellen ebenfalls Investitionshindernisse dar.

Die derzeitige Minderheitsregierung stützt sich auf die Mitte-rechts-Partei ­„Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB) und den konservativen Reformblock (RB). Die Koalition benötigt für die Verabschiedung von Gesetzen die Unterstützung weiterer Parteien: der sozialdemokratischen ABV und der rechts-nationalen Patriotischen Front (PF). Im vergangenen Februar überstand die Koalition das erste von der Opposition beantragte Misstrauensvotum. Anlass war die Unzufriedenheit mit den Gesundheitsreformen, die das finanzschwache, ineffiziente Gesundheitssystem straffen sollen. Da die Regierung nicht über eine ­Mehrheit verfügt, können vorgezogene Neuwahlen offensichtlich nicht ausgeschlossen werden. Nichtsdestoweniger fährt die Regierung entschlossen einen wirtschaftsfreundlichen Kurs und setzt auf die weitere Verbesserung des Geschäftsumfelds und die Förderung von Direktinvestitionen, insbesondere in der IT-, Outsourcing-, Hightech-, Automobil- und Innovationsindustrie sowie in der Pharmazie-, Biotechnologie-, Elektronikbranche und im E-Commerce.

Das kurzfristige politische Risiko Bulgariens, d.h. die Liquidität des Landes, wird von der Credendo Group in die niedrigste Kategorie eingestuft (1 von 7). Diese positive Bewertung ist hauptsächlich auf Bulgariens Mitgliedschaft in der Europäischen Union (EU) zurückzuführen, was die Auferlegung (langfristiger) Kapitalverkehrskontrollen innerhalb der Union verhindert und die Kontrolle des makro­ökonomischen Gleichgewichts ermöglicht. Günstige interne Faktoren, z.B. hohe Währungsreserven, die deutlich über der kurzfristigen Auslandsverschuldung liegen, untermauern das positive Urteil.

Die Bewertung des mittel- bis langfristigen politischen Risikos (Kategorie 4 von 7), das die Zahlungsfähigkeit des Landes widerspiegelt, wird unverändert von der recht hohen Auslandsverschuldung beeinträchtigt, auch wenn diese, sowohl absolut als auch relativ gesehen, zurückgeht. Die umfassende Reduzierung des Haushaltsdefizits, die geringe Anfälligkeit für externe Einflüsse (das Land erwirtschaftet seit 2013 einen Leistungsbilanzüberschuss), umfassende Finanzpolster im Rahmen des Currency-Boards und eine begrenzte Abhängigkeit vom internationalen Kapitalmarkt haben das Land vor den im vergangenen Jahr erfolgten ­Kapitalabzügen aus Schwellenländern geschützt. Auch wenn die regelmäßigen Phasen politischer Instabilität diesen positiven Trend nicht beeinträchtigt haben, bilden sie dennoch ein Hindernis für dringend erforderliche Strukturreformen, die Bulgarien erlauben würden, mit dem Einkommensniveau anderer EU-Staaten gleichzuziehen. Allgemeine Korruption und mangelnde Rechtsstaatlichkeit verschlechtern das Geschäftsumfeld. Insgesamt ordnet die Credendo Group das Geschäftsrisiko auf einer Skala von A bis C in Kategorie B ein.

Weitere Länderberichte und aktuelle Risikobewertungen von Credimundi finden Sie unter www.credimundi.de (http://riskreporter.credendogroup.com/de/risk-assessment/im-eu-vergleich-hohe-korruption-trubt-das-geschaftsumfeld/).

Kontakt: c.witte@credendogroup.com

 

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